Prosit! Traumschiffe im Bayerischen Nationalmuseum
Die Blamage war vorprogrammiert. Der Spaß natürlich auch, wenn das Trinkschiff die Runde gemacht hat oder durch einen Stups auf das nächste Opfer zugerollt ist. Denn selbst geübte Zecher konnten nicht sicher sein, dass der Wein wirklich in ihrem Mund landet. Manchmal kam einfach nur ein ordentlicher Spritzer aus dem Bug und traf mitten ins Gesicht.
Aber selbst die Schiffe ohne eingebaute Gags der derberen Art haben Geschick erfordert. Man kann das auf alten Fotografien von den Festbanketten der Ludwig-Maximilians-Universität verfolgen. Oder der Stadt München. Käthe Wimmer, die durchaus standfeste Ehefrau von Oberbürgermeister Thomas Wimmer, musste sich 1958 bei der 800-Jahr-Feier im Alten Rathaus schon sehr auf den ersten Schluck konzentrieren, während der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard es vorzog, das kostbare Trumm dekorativ in die Höhe zu halten.
Die Rede ist vom Goldenen Schiff, das der junge Erzherzog Ferdinand von Österreich im Jahr 1594 der Universität Ingolstadt geschenkt hat - aus Dankbarkeit für die fünf intensiven Studienjahre bei den Jesuiten. Am Hof in Graz gab es zu viele Protestanten, und der Prinz sollte später schließlich als Habsburger Kaiser Ferdinand II. die neumodischen Anwandlungen der Adligen und der Bürgerschaft zurückdrängen. Dass der sturzkatholische Onkel Wilhelm von Bayern den Knaben in seine Obhut nahm, kam der besorgten Mutter sehr entgegen.
Die schönsten Schiffspokale kamen
aus Augsburg und Nürnberg
Der Zweimaster in Form einer Kogge bringt jedenfalls bis heute die Wertschätzung der Habsburger Verwandtschaft zum Ausdruck und hat mit der Universität auch die Orte gewechselt - von Ingolstadt nach Landshut und 1826 nach München. Dass dieses Prachtstück seit kurzem als Dauerleihgabe im Bayerischen Nationalmuseum steht, ist nun Anlass für eine opulente Ausstellung.
Man hat am Haus weitere Objekte, und im Freistaat sitzt man quasi an der Quelle: Die wichtigsten Werkstätten für solche Schiffspokale befanden sich in Augsburg und Nürnberg - fern der Weltmeere zwar, aber dort gab es global agierende Handelshäuser. Und wo Unmengen Geld fließen, haben Künstler und Kunsthandwerker volle Auftragsbücher. Die Konkurrenzsituation tut ein Übriges.
Wenn man die Details dieser Gefäße unter die Lupe nimmt, ist man in einer Tour verblüfft: von der Präzision und zugleich vom Realitätssinn. Das reicht von den Matrosen in den Takelagen bis zur astronomischen Karte, die im Pokal des Augsburger Meisters Matthäus Bair beim Kapitän auf dem Tisch liegt. Wobei das Gelage der Miniatur-Mannschaft beim Goldenen Schiff etwas zinnsoldatenmäßig Harmloses hat. Selbst die Kanonen.
Denn das Überwinden der Ozeane war freilich nicht nur dem Erkundungsdrang geschuldet. Man gierte nach Gold und Silber, Perlen, Edelstein und Elfenbein, Gewürzen und Zucker, kurz Exotischem, das es in der Alten Welt nicht gab - und man wollte sich vergrößern, die neu entdeckten Territorien beherrschen und ihre Völker unterwerfen. Das ist die Malaise, die in der Ausstellung keineswegs auf einem Nebenschauplatz abgehandelt wird.
11 Millionen Afrikaner sind bis 1860
nach Amerika verschleppt worden
Eine Felsmalerei aus Kolumbien etwa zeigt das Grauen dieser Überfälle: Riesige Kampfhunde werden da auf dürre Menschen losgelassen. Ganz zu schweigen vom Sklavenhandel. Man brauchte ja ein paar, die die Arbeit übernahmen. Zwischen 1520 und den 1860er Jahren wurden etwa 11 Millionen Afrikaner nach Amerika verschleppt. Sofern sie den Seeweg auf den gar nicht traumhaften Schiffen überlebt haben.
Das darf man beim Blick auf die allzu schönen Pokale nicht vergessen und dennoch staunen über ein kunsthandwerkliches Know-how, bei dem nicht bloß die Restauratoren sofort ins Schwärmen geraten.
Schiffspokale: Zu wertvoll,
um daraus zu trinken
Mit der Instandsetzung des im Zweiten Weltkrieg schwerbeschädigten Goldenen Schiffs der LMU hatte der Münchner Goldschmied Leopold Pirzl tatsächlich ein Meisterstück abgeliefert. Und dann kam der Pokal bis in die 1960er Jahre bei Stiftungsfesten wieder zum Einsatz. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, aber alles hat ja auch seine Zeit. Zumal diese "Traumschiffe der Renaissance" zu wertvoll sind, um daraus zu trinken und womöglich noch üble Scherze zu machen.
"Traumschiffe der Renaissance. Schiffspokale und Seefahrt um 1600", bis 1. September 2024 im Bayerischen Nationalmuseum, Prinzregentenstraße 3, München, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr