Propheten des neuen Jahrhunderts
Café-Szenen und ein belebter Seine-Quai, eine Pietà unter der Rosette einer gotischen Kathedrale und das üppige Dekolleté einer Salonprinzessin – so viel Paris gibt’s in München selten auf einem Fleck. Und erstaunlich: Die Werke von Bonnard, Denis oder Vallotton haben keine weiten Reisen hinter sich. Was derzeit in der Neuen Pinakothek unter dem Titel „Paris intense – die Nabis“ zu sehen ist, kommt vornehmlich aus dem Haus oder der nahen Graphischen Sammlung.
Höchste Zeit also, dass die Münchner „Nabis“ in einer eigenen Ausstellung präsentiert werden, auch wenn es einem diese Propheten – Nabi bedeutet im Hebräischen Prophet – wirklich nicht leicht machen. Kaum ein Vertreter der vielseitig vernetzten Künstlergruppe aus dem späten 19. Jahrhundert malt wie der andere, einen verbindlichen Stil, eine besondere Farbpalette kann man nicht ausmachen. Aber just in dieser Vielfalt liegt auch der Reiz.
Gauguin war das große Vorbild
Einig waren sich die befreundeten Studenten der Académie Julian nur in ihrer Haltung: Sie wollten eine rundum erneuerte und vor allem echte Kunst, die nicht einfach nur repräsentieren sollte. Weniger ging es ihnen um das Motiv, als um die Malerei an sich. Ihre Heroen hießen Cézanne, van Gogh und ganz besonders Gauguin. Man las den hoch verehrten Stéphane Mallarmé und Paul Verlaine, verkehrte genauso mit den Musikern Claude Debussy oder Gabriel Fauré. Die Inspiration kam von allen Seiten, und was jeder einzelne der „Nabis“-Individualisten daraus destillierte, ergab schließlich auch ganz eigenwillige Lösungen.
Paul Sérusier (1864-1927), der Initiator und Theoretiker der Gruppe, zelebriert das Flächig-Schlichte, flirtet sichtbar mit den Symbolisten. Für ihn war die Begegnung mit Gauguin (1888) von fundamentaler Bedeutung. Pierre Bonnard (1867-1947), mit dessen riesiger „Braunkohlegrube“ der Reigen beginnt, ist dagegen ein Meister des Privaten – neben der Grube spielen Kinder. Einen seiner typischen intimen Momente zeigt die „Dame vor dem Spiegel“. Auch der fabelhafte Édouard Vuillard (1868-1940) konzentriert sich auf Intérieurs. Sein Personal – oft genug malt der Junggeselle die Mutter – geht manchmal fast unter im tapetenreichen Hintergrund, Matisse ist nah. Beide, Bonnard und Vuillard, betreiben die Auflösung der Umwelt, des Gegenständlichen überhaupt. Vuillards großformatige „Szene im Café“ (1899) steht an der Schwelle zur Abstraktion.
Süßlich-Naives und füllige Bronze-Damen
Ganz anders agiert der Schweizer Félix Vallotton (1865-1925) mit kräftig umrissenen Formen und einer kühlen Flächigkeit. Seine Holzschnittserie „Paris intense“, eine kritische Sicht auf das Leben in der Metropole, gab der Ausstellung den Titel. Der religiöse, von Fra Angelico geprägte Maurice Denis (1870- 1943) frönt den schönen, zuweilen süßlich-naiven Formen im Traum von einer besseren Welt. Maximilien Luce (1858-1941) tupft sich in der Folge von Seurat und Co. durch Paris, während Aristide Maillol (1861-1944) vor allem durch seine fülligen, strengen Bronze-Damen ein Begriff ist.
Die „Nabis“ sind schwerlich unter einen Hut zu bekommen. Doch Hugo von Tschudi, der ehemalige Chef der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, hat Anfang des 20. Jahrhunderts Formidables in Frankreich zusammengetragen. Das reicht für einen anregenden Auftritt, zumal auch die Vorbilder in die Schau gefunden haben. Mit exquisiten Leihgaben ergänzt hätte daraus ein Sommerhit werden können – nur fehlt dafür leider das Geld. Und in den schlecht beleuchteten Katakomben der Neuen Pinakothek geht dann auch einiges an Flair verloren.
Neue Pinakothek, bis 30. September 2013, täglich außer Dienstag von 10 bis 18, Mittwoch bis 20 Uhr, Katalog (Hatje Cantz) 24,80 Euro
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