Pinakothek der Moderne: Von Strickmustern und Sünden
München - Seit 50 Jahren wohnt Jürgen Habermas am Starnberger See. Und wenn auch nur eine Kleinigkeit an seinem Domizil zu verändern ist, fragt er erst mal die Architekten.
Der Titel "Neue Nachbar*innen" führt leicht in die Irre
Aber klar, Christoph Sattler und Heinz Hilmer haben Deutschlands bekanntestem Philosophen eine formidable Villa hingestellt. Da setzt man nicht eben mal ein neues Garagentor ein. Und schon gar keine anderen Fenster. Warum das so ist, sieht man derzeit in der Pinakothek der Moderne.
Dort werden Einblicke ins Archiv des Architekturmuseums gewährt. Das klingt nicht unbedingt aufregend - das Gegenteil ist der Fall. Und auch der Titel "Neue Nachbar*innen" führt leicht in die Irre. Gemeint sind Schenkungen von Vor- und Nachlässen der letzten Jahre, die nun in einen Dialog mit den Beständen der Sammlung treten.
Wobei dieser oftmals gewünschte Zuwachs nicht ganz einfach unterzubringen ist. Das Archiv umfasst eine halbe Million Planzeichnungen, etwa 200.000 Fotografien und fast 2000 Modelle, die immensen Platz einnehmen. Schließlich wird seit 1868 Material zusammengetragen, das eine Art Gedächtnis zum realen Gebauten, "bloß" Entworfenen oder mittlerweile Zerstörten, Abgerissenen oder Umgestalteten bildet.
Erinnerungen an das Schwarze Haus
Kurzum: Man muss einen solchen Schatz hegen und pflegen. Andernfalls wird man bald vergessen haben, dass am Färbergraben, nur einen Steinwurf vom Marienplatz entfernt, bis vor 13 Jahren ein großartiger Bau stand: das Schwarze Haus.

Aufs Erste mag es unscheinbar gewirkt haben, doch bei näherer Betrachtung konnten auch Laien ahnen, dass da einer seinen Mies genau studiert hatte, und vor dem Modell sticht es jetzt förmlich ins Auge. Detlef Schreiber, der mit Herbert Groethuysen und Gernot Sachsse das siebenstöckige Verwaltungsgebäude des Süddeutschen Verlags von 1963 an geplant hat, fühlte sich dem Erbe Ludwig Mies van der Rohes verpflichtet.
Das Stahlbetonskelett, das eine elegante Fassade aus eloxierten schwarzen Aluminiumbändern und Glaspartien umgelegt bekam, war um 1970 ein viel diskutierter Knüller. Wer jemals das Foyer betreten hat, weiß um den unaufdringlichen Chic, der sich auch in Details wie den schwarzen Sitzgruppen im Stil von Mies' Barcelona-Sessel niederschlug (für den deutschen Pavillon der Weltausstellung 1929).
Die Proteste waren heftig, als das sogenannte Schwarze Haus abgerissen werden sollte, das Landesdenkmalamt hat viel zu spät "interveniert", und am Ende rollten eben die Euros eines Investorenverbunds, der eine 08/15- Einkaufspassage hochziehen ließ. Aber da war Corona noch in weiter Ferne und jede Ecke der Innenstadt garantierte Höchstrenditen.
Blick auf die flexiblen Wohneinheiten am Dante-Bad
Es gibt in der Ausstellung Erfreulicheres, überhaupt bieten sehr unterschiedliche Objekte Einblick die schiere Vielfalt der Sammlung. Das reicht von sozial engagierter Architektur wie Francis Kérés Grundschule in Burkina Faso bis zur Alten Pinakothek, die Hans Döllgast nach dem Zweiten Weltkrieg mit größter Sensibilität restauriert hat. Bis heute darf das einst von Leo von Klenze entworfene Museum seine Wunden zeigen, um an menschlichen Größenwahn und brutale Zerstörung zu erinnern.
Das reicht aber auch von den neuen preisgünstigen, flexiblen Wohneinheiten am Dante-Bad, die Architekt Florian Nagler mit zahlreichen Begegnungsräumen angereichert hat, bis hin zu Landschaftsarchitektur, die erstmals in den Archivbestand eingegangen ist. Dazu gehört etwa der Marienhof, für den sich Adelheid Schönborn eine Gartenoase mit zentralem Wasserbecken sowie sternförmigem Wegenetz und abgezirkelten Pflanzenfeldern ausgedacht hat. Diese Reminiszenz an historische Gartenanlagen kam nie zur Ausführung, und jetzt wird eh an der Stammstrecke gebastelt.
In Aggstall: Wenn ein frei stehendes Wohnhaus eine Art Skipullover trägt
Die Ausstellung bietet einige Gelegenheiten, sich über das mehr oder weniger groß angelegte Bauen in München Gedanken zu machen. Selbst noch im Werden Befindliches wie die von Nieto Sobejano Arquitectos neu gestaltete Archäologische Staatssammlung ist dem ursprünglichen Entwurf von Helmut von Werz gegenübergestellt. Und man kann technische Entwicklungen nachverfolgen wie etwa von der mehr oder weniger virtuosen Handzeichnung und Skizze zu CAD-generierten Plansätzen oder 3D-Renderings.

Eine der letzten Papierzeichnungen aus dem Büro Hild und K liegt erst 20 Jahre zurück, doch man wird jetzt schon wehmütig vor dieser geduldig gefertigten Arbeit, die wie ein Strickmuster anmutete. Andreas Hild und Dionys Ottl haben einem frei stehenden Wohnhaus in Aggstall eine Art Skipullover übergezogen, frei nach dem Motto: Ornament ist kein Verbrechen. Auch darüber lohnt es sich nachzudenken.
"Neue Nachbar*innen. Einblicke ins Archiv" bis 5. Juni in der Pinakothek der Moderne, Katalog 19,90 Euro