Phyllida Barlow stellt im Haus der Kunst aus: Grandiose Resteverwertung

Spielend und mit frecher Leichtigkeit kann die britische Bildhauerin Phyllida Barlow das Haus der Kunst füllen.
von  Roberta De Righi
In Phyllida Barlows Regie wird so ziemlich alles zum "Hoard", also Schatz oder Hort, wie diese Arbeit von 2013 zeigt.
In Phyllida Barlows Regie wird so ziemlich alles zum "Hoard", also Schatz oder Hort, wie diese Arbeit von 2013 zeigt. © Lila Photo/Court. Hauser & Wirth

München - Im Haus der Kunst stehen neuerdings ein paar Säulen schief. Sie sind in der Mitte aufgeschlitzt, innen hohl, und völlig losgelöst von klassischer Ordnung und tektonischer Bedeutung. Zu fünft okkupieren die Trümmer aus Zement, Draht und Jute einen ganzen Saal, wirken dabei eher wie riesige Elefantenpenisse - und halten der neoklassizistischen Monumentalität dabei quasi einen Zerrspiegel vor.

Haus der Kunst zeigt große Ausstellung der Bildhauerin Phyllida Barlow

Sie stammen von der britischen Bildhauerin Phyllida Barlow, die jetzt mit ihrer Ausstellung "frontier" fulminant und erfrischend den Ostflügel bespielt. Dass die 1944 geborene Britin, die als Professorin einige aus der Generation der Young British Artists geprägt hat, das Haus der Kunst nach der über vier Monate dauernden Schließung quasi wiedereröffnen darf, ist ein Glücksfall. Neben Michael Armitage ist es zugleich die zweite große Präsentation unter dem neuen Chef Andrea Lissoni - und mit rund hundert Werken die größte Überblicksschau über Barlows Werk.

Darin geht es nicht um Inhalt und Funktion, sondern immer um die Form in ihrer Umgebung. Masse und Volumen sind Einheiten, mit denen Barlow lässig spielt. Auch als weibliche Reaktion und Weiterentwicklung der männlich dominierten Minimal Art. Statt rigiden Dogmatismus wie bei Donald Judd strahlen ihre Objekte Sinn und Sinnlichkeit aus. Und das frühe "object for a television" (1994), quasi überdimensionierte Hasenohren für den Fernseher, offenbart zugleich trockenen, aber überraschend barocken Humor.

Barlow verwendet Materialien wie Beton oder Stofffetzen

Eindrücklich ist dabei vor allem, wie Barlow Materialität und Wirkung konterkariert. Sie perfektionierte (ursprünglich aus Mangel an Lagerfläche) nicht nur die Wiederverwertung klassischer Kunst-Utensilien wie Holzleisten und Leinwand, sondern betreibt längst Upcycling von Werkstoffen, die man eher auf dem Wertstoffhof findet: Bitumen, Beton, Glas, Latex, Polyurethan, Plastikfolie und jede Menge Stofffetzen. Letztere versperren gerne auch mal wie in "100 banners" Durchgang und Sicht und sorgen für farblich starke Akzente.

Barlow ist selbst fasziniert von so viel Raum für ihre Kunst

Und ihre Großplastiken sind einfach eine Wucht - dennoch subtil und präzise im Detail. Scheu vor der historischen Kontamination des Nazi-Kunsttempels hat die Britin ebenso wenig wie ihr Landsmann, der Architekt David Chipperfield. Die symbolische Bedeutung als einstiges "Haus der Deutschen Kunst" trübt ihre Begeisterung über die gelungene Ausstellungsarchitektur nicht.

Das Haus sei doch, ähnlich wie Wagners "Götterdämmerung" nicht Endpunkt, sondern biete die Möglichkeit zum Neuanfang, findet sie im Pressegespräch über Zoom. Vielmehr ist Barlow fasziniert davon, dass darin so viel mehr Raum für ihre Kunst ist, als sie sich das bei der monatelangen Feinarbeit an der Einrichtung der Säle - wegen Covid-19 ausschließlich via Bildschirm von London aus - vorstellen konnte. Deren reale Umsetzung ist Kurator Damien Lentini und sein Team dann bestens gelungen.

Ob in der raumfüllenden Kombination "broken stage/ hanging lumps" oder in "untitled: blocks on stilts" und "untitled: parasols". Einige der Arbeiten wurden erweitert und so den Raum-Dimensionen angepasst. Und immer wieder treffen die Objekte wie in einem abstrakten Cartoon aufeinander.

Mit Witz und Verve stemmt sich die Künstlerin dabei gegen die Schwerkraft: Ihre Plastiken, etwa "hiddenholed", balancieren scheinbar das Kipp-Moment und den drohenden Fall aus. Kein Zweifel: Ihren vermeintlich groben Klötzen und plump wirkenden Brocken setzt Phyllida Barlow einen Schalk in den Nacken, der das Spiel absolut im Griff hat.


Bis 25. Juli jeden Montag, Mittwoch und Sonntag von 10 Uhr bis 18 Uhr. Freitag und Samstag von 10 Uhr bis 20 Uhr. Donnerstag sogar bis 22 Uhr.

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