„Ohne Vitamin B läuft es auch in der Kunst nicht“

Urban Art in München? Stroke-Veranstalter Raiko Schwalbe über Kunst und Kommerz
von  Amina Linke

Vor vier Jahren war der Aufschrei noch groß: Urban Art falle immer mehr dem kapitalistischen Kunstmarkt zum Opfer, so Kritiker. Auslöser war unter anderem die von den Veranstaltern als „weltweit erste Messe für Urban Art und New Contemporary Art“ bezeichnete Stroke. Die Veranstalter, das sind die Brüder Marco und Raiko Schwalbe. Die Berliner kuratieren seit 2009 Ausstellungen und fördern vornehmlich junge Künstler in verschiedenen Projekten. Mit der Stroke zogen sie in den letzten Jahren über 60<TH>000 Besucher an. Am Mittwoch findet auf der Praterinsel die vierte Ausgabe der Messe statt.

AZ: Herr Schwalbe, 2009 war der Auftakt der Stroke. Der Hype war so groß, dass Medien bereits von einer Goldgrube schrieben. Sind Sie jetzt Millionär?

RAIKO SCHWALBE: Leider nicht. Eine Goldgrube war und ist die Stroke definitiv nicht – und soll sie auch gar nicht sein. Wir wollen den Künstlern eine Plattform bieten, die es sich nicht leisten können, auf der Art Basel auszustellen. Das ist die Ursprungs-Idee der Stroke. Seit Jahren versuchen wir nun, die Ausstellungskosten für Künstler ganz entfallen zu lassen. Das hängt allerdings stark von Sponsoren ab, die immer noch lieber in Fußball investieren als in Kunst.

Was zahlt denn ein Aussteller momentan?

Nur ein Zehntel der normalen Messegebühren, also 500 bis 600 Euro im Durchschnitt. Wir haben zwischen 30 und 35 Aussteller, wenn man das hochrechnet, ist das noch nicht mal die Miete der Praterinsel. Auf anderen Kunstmessen zahlen Galerien für eine Box bis zu zehntausend Euro.

Viel Geld für einen Kunststil, der eigentlich frei von kommerziellen Ansprüchen sein möchte.

Urban Art ist nicht Graffiti oder Street-Art, die das für sich zum Teil beanspruchen. Urban Art ist in unseren Augen eine gesellschaftliche Entwicklung hin zur Verstädterung. Wir haben Künstler, die jahrelang Agenturchefs waren und dann eine Galerie aufmachen oder selbst zum Künstler werden. Ihre Expression kann grafische, illustratorische, digitale oder eben sprayerische Elemente enthalten. Das ist aber nicht automatisch Graffiti. Und auf der Stroke macht die Spray- oder Street-Art-Kunst allemal fünf bis zehn Prozent aus.

Als was würden Sie die Stroke-Kunst also bezeichnen?

Die Masse der Werke ist zeitgenössisch. Wenn man das kunsthistorisch betiteln möchte, dann wäre die Kunst auf der Stroke wohl postmodern.

Die Geschichte vom Subkultur verschlingenden Kunstmarkt ist eine Mär?

Sie ist auf jeden Fall hier nicht angebracht. Die Künstler, die bei uns ausstellen, machen das, weil sie gesehen werden wollen – und weil sie mit ihrer Kunst ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen. Wenn nachts mit zwei Spraydosen zwei Stunden an einer Häuserwand ein Bildchen gemalt wird, freut es zwar den Künstler kurz, aber seinen Kühlschrank füllt das nicht. Dass eine Subkultur verkommerzialisiert wird, das stimmt also so nicht. Sie hat den Weg in die freie Marktwirtschaft gesucht – und mittlerweile auch gefunden. Die Street- und Graffiti-Art existiert daneben weiter.

Urban Art ist ein europäischer Begriff – in den USA nennt man die Strömung zum Beispiel Fine Art. Was macht sie aus?

Die Künstler auf der Stroke verarbeiten – auch mit Live-Paintings – politisch-gesellschaftliche Einflüsse in ihren Werken. Was passiert im alltäglichen Leben, was passiert in der Welt? Fragen, die in ihrer Kunst Ausdruck finden.

Warum ist die Stroke in München so erfolgreich, in Berlin aber nicht?

Berlin hat ein Überangebot an Galerien, Vernissagen, und Verkäufe laufen dort schlecht. Deswegen haben mein Bruder Marco und ich auch eine Ausstellung Anfang Mai 2009 in München gemacht mit dem Namen „Kunst im Tresor“. Damals kamen an einem Abend schon 1500 Gäste. Das war für uns die Bestätigung, die Idee, die wir in Berlin hatten, in München umzusetzen. Die Stroke ist sozusagen also ein Münchner Kindl. Und das liegt auch an der Offenheit der Menschen hier.

Berührungsängste gibt es auf der Stroke also nicht – wie steht es bei jungen Künstlern, die Fuß fassen wollen? Können die im offenen München einfach in eine Galerie spazieren und sagen „Hallo, hier bin ich“?

Würde ich von abraten. Besser einen Termin vorher telefonisch – nicht per Mail – vereinbaren. In der Regel scouten die Galerien aber ihre Künstler, beobachten sie über längere Zeit und kommen dann auf sie zu. Wir bieten jungen Künstlern zum Beispiel auch mit „Obacht – der Kunstradar für Bayern“ eine Plattform. Hier werden junge Künstler die Chance bekommen, mit nur 75 Euro Beitragsgebühr sich und ihre Werke den erwarteten 1300 Besuchern zu präsentieren. Ohne Vitamin B läuft es eben auch in der Kunst nicht.

Stroke.Artfair, 1. bis 5. Mai, Mittwoch bis Samstag 13 bis 22 Uhr, Sonntag 13 bis 18 Uhr, Praterinsel, Eintritt: 12 Euro

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