Nicole Eisenmann im Museum Brandhorst: Der Witz ist die beste Bombe

Verdrehte Leiber sind ineinander verkeilt. Es wird gefummelt, was das Zeug hält, geküsst und kopuliert. Die bewegten Körper nehmen kein Ende, und unwillkürlich muss man an die Menschenmassen eines Jüngsten Gerichts oder an den Höllensturz der Verdammten denken – an Luca Signorelli oder Peter Paul Rubens, der sich gerne an drallen Brüsten, Bäuchen und Hintern verausgabt hat. Doch im Gegensatz zu diesen Fleischbergen voll schmerzverzerrter Panikgesichter herrscht bei Nicole Eisenman die pure Lust, wahrscheinlich sogar Freude.
Nicole Eisenman im Museum Brandhorst: Lust, Wut und Durcheinander
So genau kann man das im ganzen Durcheinander gar nicht sagen. Aber gerade in diesen Bildern der amerikanischen Künstlerin aus Frankreich steckt eine unfassbare Energie. Da muss etwas raus, möglicherweise von einer guten Portion Wut befördert. Wut auf die Doppelmoral einer prüden Gesellschaft, Wut auf das Unverstandensein als queere Frau im New York der 1990er Jahre, Wut auf Aids oder vielmehr die Diskriminierung, die durch das Virus verrückte Ausmaße annahm.

Und nun? Steht im Museum Brandhorst eine fast scheue, heitere Frau, die ihr Gleichgewicht gefunden hat – und sich dennoch über Donald Trump und andere dumpfe Verführer aufregen kann. Sehr sogar. Aber Eisenman hat für sich und ihre Kunst etwas entdeckt, das wirkmächtiger ist als Waffen: den schnellen Witz und einen tief sitzenden Humor. Dauernd kichert jemand im Souterrain des Hauses. Dort ist der Malerin und Bildhauerin mit rund 100 Werken aus drei Jahrzehnten die bislang größte Retrospektive gewidmet – in Kooperation mit der renommierten White Chapel Gallery in London. Dann wechselt die Schau nach Chicago ans Museum of Contemporary Art.
Feminismus und Lesbische Community
Man erlebt die Entwicklung einer Künstlerin, die sich durchbeißen musste, natürlich auch, weil sie Themen aus der lesbischen Community aufgegriffen und sich klar feministisch positioniert hat. Nicht nur für harte Heteros war das ein No-Go. Dabei müssten selbst die sich insgeheim amüsiert haben, als sich Eisenman 1992 die „Flintstone“-Damen vornahm und Fred Feuersteins Gemahlin Wilma über Betty herfallen ließ („Betty Gets It“). Ohne Fellkleidchen. Das war seinerzeit ziemlich provokant, aber mindestens genauso komisch.
Und es ging im selben Jahr gleich noch „bedrohlicher“ zur Sache, als Eisenman gefesselte Piraten von vergnügten nackten Frauen entmannen ließ. „Captured Pirates on the Island of Lesbos“ lautet der Titel – in einer Tour stellt diese Künstlerin die ewigen Mythen auf den Kopf, nimmt bei alten und neuen Geschichten die weibliche Perspektive ein und ist überhaupt eine grandiose Erzählerin. Schon weil sie unbeirrt beim Figurativen bleibt und alles zusammenbringt: Comics, den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit und sowieso die Großen der Kunstgeschichte von Michelangelo bis Matisse und von Bruegel bis Picasso.
Sie ist ein weiblicher Picasso des Mischpults und pinselt ihren Vornamen in dessen unverwechselbarer Handschrift aufs Papier. Das wirkt so selbstbewusst wie selbstironisch. Die hoch virtuose Malerin interpretiert aber auch seine Werke nach ihren Vorstellungen. Pablo, der Mann, wird nicht mehr gebraucht, seine Gespielinnen sind sich selbst genug. Und Henri Matisses Tänzerinnen drehen sich um einen toten Adonis am Marterpfahl.

Das ist ein Geschlechterkampf, den am Ende alle überleben – wie im Comic – und geläutert das Feld verlassen, um sich womöglich in einem der Eisenmanschen Biergärten zu treffen. Die haben es der 57-Jährigen angetan, nicht zuletzt, weil sie eine Bühne für ihre Sozialstudien bieten. Hier sitzen die Dompteure wie die Machtlosen, die Tonangeberinnen wie die still vor sich hin Sinnierenden.
Digitale Vereinsamung
Bereits vor Jahren hat sie die digitale Vereinsamung auf die Leinwand gebracht. Ein Comic-Männchen, dass sich mit dem Smartphone selbst ins Auge schaut, ist mit seiner Knollennase nur auf den ersten Blick lustig und tatsächlich ein Ritter von der traurigen Gestalt. Einen Kollegen malt sie 2022 fadisiert auf dem Sofa liegend vor einem Fernseher, der vor einer aufgebrochenen Hauswand steht. Ein Reflex auf Corona, der auch in einigen Jahren kaum veraltet sein dürfte. Genauso werden sich die Malereien, Skulpturen und Installationen, die gesellschaftliche Irrwege thematisieren, nicht verbrauchen.

Wenn auf dem Gemälde „The Triumph of Poverty“ ein blinder Prophet mit einem bloßen Hinterteil an Stelle seines Bauchs Bruegels Blinde an der Leine führt und von einem Zug Verzweifelter gefolgt wird, ist klar, dass da einer die Leute ins Elend stürzt. 2009 war das Bild abgeschlossen, und Eisenman hat damit auf die Finanzkrise angespielt, wie sie sagt. In Anbetracht der letzten Bankblasen ist das Spektakel noch lange nicht vorbei. Und auch die Trumps werden mehr und mehr. Von Putin ganz zu schweigen.
Nicole Eisenman macht das Sorgen, das zeigt ihr Œuvre in aller Deutlichkeit. Doch in Zeiten, in denen die Gräben wachsen und alles auseinanderfällt, sollte man nach dem suchen, was die Menschen verbindet, betont sie. Um nur schwarz zu sehen, ist diese Künstlerin viel zu sehr Humanistin.
„Nicole Eisenman. What Happened“, bis 24. September 2023 im Museum Brandhorst München, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr.