Neue Ausstellung in München: So haben Sie Bundesligastadien noch nie gesehen

Eine Ausstellung des Münchner Fotografen Michael von Hassel in der Galerie Immagis gibt einen Einblick in Deutschlands Fußballtempel.
von  Adrian Prechtel
Vor seinem Bild der Allianz Arena: Fotograf Michael von Hassel (rechts) und Autor Alexander Gutzmer.
Vor seinem Bild der Allianz Arena: Fotograf Michael von Hassel (rechts) und Autor Alexander Gutzmer. © Michael von Hassel/Callwey

Man stelle sich einmal ein Oktoberfestzelt vor – nachts um zwei: die Bänke noch feucht von den Putzkolonnen, alles schon komplett aufgeräumt, aber noch hell erleuchtet – so strahlt einem der menschenleere Biertempel entgegen.

Der Münchner Michael von Hassel hat diese Fotoserie vor einigen Jahren inszeniert. Wenn er jetzt 36 deutsche Fußballstadien in seiner Kunst und Technik eingefangen hat, passiert wieder dieser emotionale Überraschungsmoment. Man steht vor den großformatigen Arenen, aufgezogen hinter Diamantglas. Alles wirkt fast kristallklar – und doch ergibt sich ein Flirren, nicht nur durch die Flutlichtbeleuchtung, sondern im Kopf.

Fotograf Michael von Hassel: "Fußballstadien sind extrem demokratische Orte"

Denn es ist unvermeidlich, dass man das Stadion in seiner Fülle, beim Fieber, beim Spiel mitdenkt, mitfühlt, -riecht und -hört. Es ist genau dieser Kontrast der völlig aufgeräumten, stilisierten Ruhe und dem imaginierten Hexenkessel, der diese Bilder auch so magisch macht

"Fußballstadien sind extrem demokratische Orte, weil hier – abgesehen von VIP- und Logengetue – Klassen- und Altersgegensätze ausgesetzt sind", sagt der Architekturjournalist Alexander Gutzmer, dessen Spezialgebiet Sportarenen sind und der die Texte zum Buch "Bundesliga Kathedralen" verfasst hat: "Und Fußballarenen sind sehr emotionalisierend, Orte, wo man aus sich herausgehen kann. Und die Zuschauer sind eben selbst ganz entscheidende Akteure, Teil der großen Inszenierung – die natürlich auch manchmal etwas Beängstigendes haben kann."

Eines der Stadien ohne klassische "Kurve": Der Borussia-Park, bei dem die Fans bei der Gestaltung mitwirken durften.
Eines der Stadien ohne klassische "Kurve": Der Borussia-Park, bei dem die Fans bei der Gestaltung mitwirken durften. © Michael von Hassel/Callwey

In einem Stadion wurde alles um einen Kiosk gebaut, der schon immer da war

Dagegen sind von Hassels Nachtaufnahmen natürlich Bilder der totalen Kontrolle. "Absolut", sagt Hassel: "Aber es ist nicht vorstellbar, wie kompliziert das ist, nachts allein in so einem Stadion arbeiten zu dürfen. Es gibt den Verein, oft einen anderen Eigentümer und die Hausverwaltung und immer eine Vermarktungsgesellschaft. Alle müssen zustimmen. Dann gibt es Einwände wegen der Lichtbelästigung durch die Flutlichtanlagen außerhalb der Spielzeiten oder die Frage, ob es für diesen Sondereinsatz einen CO2-Ausgleich gibt.

Dann muss ich noch verlangen, einmal die Gerüste mit den Rasen-Solarien abzubauen. Denn wenn kein Spiel ist, wird der Rasen ständig beleuchtet, damit er genügend Licht hat, um zu wachsen. Das heißt: Den Moment, der hier fotografiert ist, den gibt es eigentlich gar nicht. Es ist eine Art von Über-Realität."

Eines der weltweit gelungensten architektonischen Würfe für ein Stadion", meint Alexander Gutzmer über die Allianz-Arena in München.
Eines der weltweit gelungensten architektonischen Würfe für ein Stadion", meint Alexander Gutzmer über die Allianz-Arena in München. © Michael von Hassel/Callwey

Was zur Technikfrage führt: 90 Fotos brauche es für ein Bild, erklärt Michael von Hassel: "Es ist eine Kamera mit einem Architekturobjektiv, das man tilten und shiften kann, also verschieben, damit man immer einen genauen Ausschnitt fotografiert, aber immer von exakt dem selben Punkt aus – ohne den Fischaugeneffekt."

Fünf Motive aus immer möglichst vergleichbaren Perspektiven gibt es von jedem Stadion. "Einmal konnte ich nur fotografieren nach dem Spiel – und da habe ich dann monatelang Kaugummis und Zigarettenstummel wegretuschiert, weil so ein Bild insgesamt so eine fantastische Auflösung hat.

Natürlich kann man sich beim Rundgang durch die Ausstellung und beim Durchblättern der Bilder fragen, ob ein Stadion den Verein oder die Stadt spiegelt? "Sicher", sagt Autor Gutzmer: "Wie in Heidenheim, wo alles um einen Kiosk gebaut wurde, der schon immer da war. Da kauft man ein Bier, dreht sich um und ist am Spielfeldrand." In den Texten zu den Arenen kommen auch Fans oder Menschen mit einen persönlich besonders engen Bezug zum Ort zu Wort – vom Maler Lüpertz bis zum Fanradio-Moderator oder Hardcorefan.

Das Grünwalder Stadion findet Michael von Hassel "besonders schön" – dabei ist es trotzdem nicht

Es gibt auch sanfte Brüche in der Bilderserie: Zwei Stadien sind im Schnee. Oder bei Borussia Dortmund gibt es ein Bild, auf dem 30.000 Fans in der "gelben Wand" zu sehen sind.

Hier ohne die "gelbe Wand" aus Fans: der Signal Iduna Park von Borussia Dortmund, das größte Fußballstadion Deutschlands.
Hier ohne die "gelbe Wand" aus Fans: der Signal Iduna Park von Borussia Dortmund, das größte Fußballstadion Deutschlands. © Michael von Hassel/Callwey

Witzigerweise heißt das Buch "Bundesliga Kathedralen", aber es sind 36 Stadien, die aus jeweils fünf Innenperspektiven fotografiert wurden: "Das Projekt zog sich über Jahre, wurde von Corona unterbrochen, da gibt es natürlich einige Wechsel zwischen Ligen, so dass ich gesagt habe: Ich mache erste und Zweite Liga. Außerdem wollten immer mehr Vereine dabei sein, als sie Fotos der anderen Stadien gesehen hatten."

Und das Grünwalder Stadion? "Das ist auch besonders schön", sagt von Hassel – und überlegt, ob er mit einer Fotoserie dazu wirklich warten will, bis die Zweite Liga klappt?


"Bundesliga Kathedralen" - Buch: Fotografien von Michael von Hassel und Texte von Alexander Gutzmer (Callwey, gebunden, Großformat, 208 Seiten, 59,95 Euro) Ausstellung: bis 8. Oktober, Galerie Immagis, Blütenstraße 1 (U-Bahn Universität), Di bis Fr, 14 - 18 Uhr, Sa, 11 - 14 Uhr

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