Neue Ausstellung: Die eigene Sprache finden

München - Wenn man die Nachricht erhält "Du bist ein Idiot", ist man geneigt, sie gleich wegzuwerfen. Wenn die Nachricht aber von der Fotografen-Legende und Magnum-Agenturgründer Robert Capa kommt, liest man halt doch weiter: "Mach doch endlich mal selbst ein Foto!"
"Ich hatte endlich meine Sprache gefunden"
Inge Morath hatte bei einem verregneten Kurzaufenthalt in Venedig schöne Motive gefunden und bat Capa, doch bitte einen Fotografen zu schicken. Auf seine Aufforderung hin also griff sie, die bisher als Übersetzerin, Bildunterschriften-Schreiberin und schreibende Journalistin gearbeitet hatte, zur Kamera - und: "Es war mir sofort klar, dass ich von nun an Photographin sein würde; ich hatte endlich meine Sprache gefunden."
So erzählt es Inge Morath (1923-2002) selbst. Es war vielleicht auch der Moment der Emanzipation, in dem sie sich selbst gefunden hat: Die Frau, die Artikel schrieb, aber dabei immer auf die von Männern gemachten Fotos schielte.

Nun machte sie ihre Aufnahmen selbst. Ihr Ausbilder war eine weitere Foto-Legende: Henri Cartier-Bresson. Sie sollte ihn zunächst bei Aufträgen begleiten. Wenn er für sie nichts mehr zu tun hatte, ging sie auf Motivsuche.
Umfangreiches Werk nun ausgestellt
Rund 200 Schwarzweiß-Fotos aus dem Schaffen der gebürtigen Österreicherin und vielgereisten Weltbürgerin, der Tochter eines Wissenschaftler-Paars, eines Kriegsflüchtlings sind jetzt im Kunstfoyer der Versicherungskammer-Kulturstiftung zu sehen.
Das Lama namens Linda (das auch das Plakatmotiv zur Ausstellung ist) 1957 auf dem New Yorker Times Square ist natürlich der Hingucker. Irgendwie hat man das ja nicht ganz unsperrige Tier in das kleine Auto gebracht, aus dessen Fenster heraus es nun langhalsig perfekt posiert.
New York und London waren frühe Foto-Stationen. In London entstanden Anfang der 50er Jahre die Aufnahmen der pelz- und federreich und mit Schmuck gut beladenen Mrs. Eveleigh Nash, die vermutlich schon damals charmant aus der Zeit gefallen gewirkt hat.
Hinreißend sind die New Yorker Maskenaufnahmen von 1961: Morath wollte den "New Yorker"-Karikaturisten Saul Steinberg für eine Poträtsitzung treffen - er "empfing mich in seinem Haus in Manhattan mit einer braunen über seinen Kopf gestülpten Papiertüte, auf die er eine Selbstkarikatur gezeichnet hatte".
Masken aus Papiertüten
Daraus wurde ein Spiel: "Er zeichnete mehr und mehr Portraits von allen möglichen Steinbergiensischen Archetypen auf braune Tüten, ich fand Leute, die drunterpassten, und photographierte sie."
Unter einer der Masken schaut auch der US-Dramatiker Arthur Miller heraus (der einzige, dessen Gesicht man erkennt). Der war 1961 noch mit Marilyn Monroe verheiratet, ein Jahr später dann mit Inge Morath. (Kurzer Glamour-Einschub: Die Tochter der beiden ist die Regisseurin, Schauspielerin, Bildhauerin und Schriftstellerin Rebecca Miller, die wiederum mit dem oscar-sammelnden Schauspieler Daniel Day-Lewis verheiratet ist.)
Allein und an der Seite Millers reiste Morath in den kommenden Jahrzehnten um die Welt. Die Ausstellung, kuratiert von Anna-Patricia Kahn (Inge Morath Estate) und Kunstfoyer-Direktorin Isabel Siben, zeigt Straßenfotografie aus Frankreich, Spanien, Russland, China und Iran.
Ihre Motive: Monroe, Hepburn, Bergman
Immer wieder war Inge Morath als Fotografin an Filmsets. Hier begegnen wir gleich mehrmals der Monroe wieder (bei Aufnahmen für "Misfits - Nicht gesellschaftsfähig"), die man auf einem Probenfoto mit Eli Wallach - Anna-Patricia Kahn weist bei einer Führung darauf hin - gar nicht sofort erkennt. In der Tat: Wir sehen hier nicht die blonde Ganzkörperkurvige-Sexbombe, als die sie zur Ikone wurde, sondern in Großaufnahme das Gesicht einer Frau, die träumerisch gen Himmel blickt.
Weitere Stars-am-Set-Begegnungen gibt es unter anderem mit der zauberhaften Audrey Hepburn, mit Anthony Perkins, Ingrid Bergman und Yves Montand ("Lieben Sie Brahms?") und mit Yul Brunner und Christine Kaufmann: Auf einem Bild fängt Morath Kaufmanns Auge als Detail in einem Spiegel ein, während Brunner geschminkt wird.
Und dann sind da noch die Künstlerfotos, die den zentralen Raum im Kunstfoyer einnehmen. Schon in frühen Berufsjahren nach dem Krieg schloss Morath Freundschaft unter anderem mit den Schriftstellern Hans Weigel, Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann. Später fotografierte sie die Schriftsteller André Malraux, John Updike und Salman Rushdie ebenso wie den Komponisten Igor Strawinsky, den Bildhauer Alberto Giacometti und seine Kollegin Louise Bourgeois. Western-Held Charlton Heston wirft sich für sie mit seinem Gewehr (natürlich!) auf den Teppichboden, Juliette Greco zeigt Morath ihre Schallplatten.
Bis 1. Mai, Kunstfoyer der Versicherungskammer-Kulturstiftung, Maximilianstraße 53, tägl. 9.30-18.45 Uhr (24./25./31.12. geschlossen), nur mit Online-Ticket.