Mystischer Ort mit 150 Jahren Geschichte: Wo Falco, Beethoven und Udo Jürgens weiterleben

Zwischen Kultur, Geschichte und schwarzem Humor: An diesem besonderen Platz bleiben Legenden, Kultur und ihre Vergangenheit lebendig.
von  Patrick Guyton
Auf Udo Jürgens' Grab steht die Nachbildung eines weißen Flügels.
Auf Udo Jürgens' Grab steht die Nachbildung eines weißen Flügels. © Patrick Guyton

München/Wien - Im Shop hinter Tor 2 gibt es gleich mal eine Kaffeetasse zu kaufen. Neben zwei abgebildeten Grabsteinen steht darauf über den Zentralfriedhof: "Best place to be".

Zentralfriedhof – der beste Ort, an dem man sein kann. Auf den ebenfalls angebotenen T-Shirts heißt es: "Und irgendwann bleib' i dann durt". Das sagt schon viel über diese legendäre Wiener Begräbnisstätte, die jedem Österreicher und sicher auch den allermeisten Deutschen ein Begriff ist.

 Glaube, Liebe, Hoffnung und schwarzer Humor: Besonderes 150-jähriges Jubiläum

Der Friedhof als ein einzigartiges Kulturdenkmal mit seinen vielen Kunstwerken – Jugendstil und alles andere –, Statuen, Gruften. Ein Ort des Todes und der Trauer. Es geht um große Themen, um Glaube, Liebe, Hoffnung. Um Würde, doch der schwarze Humor, das Makabere liegt nicht fern. 150 Jahre ist der Wiener Zentralfriedhof nun alt geworden. Am 1. November 1874 wurde er eröffnet, an diesem Tag fand auch gleich die erste Beerdigung statt.

Friedhofs-Bloggerin Karin Kiradi mit dem Friedhofs-Vielbesucher Johannes Lex.
Friedhofs-Bloggerin Karin Kiradi mit dem Friedhofs-Vielbesucher Johannes Lex. © Patrick Guyton

"Hier spüre ich Kraft, Friede, Ruhe", sagt Karin Kiradi. Die 62-jährige Wienerin sitzt im Kaffeehaus Oberlaa auf dem Friedhof und erzählt über sich und dieses riesige Areal. "Ich bin sehr gern im alten jüdischen Teil des Friedhofs und lese ein Buch." Jeden zweiten Tag besucht sie die Gräberstätte im östlichen 11. Gemeindebezirk Simmering.

"Manches Grab springt mich an"

Darauf gekommen ist die Rentnerin erst mit der Corona-Pandemie und den Lockdowns. "Ich bin viel gewalkt, auch über den Friedhof." Sie stellte fest: "Manches Grab springt mich an." Sie notierte die Namen und die Lebensdaten auf den Steinen, den Bodenplatten, den verkünstelten und verschnörkelten Monumenten. Im Internet betreibt sie einen Blog, auf dem sie von den Menschen und Familien berichtet, die dort bestattet sind.

Dafür recherchiert sie in Archiven und in Ahnenlisten. "Da grabe ich", sagt sie, und zwar hauptsächlich nachts. "Ich erzähle Geschichten gegen das Vergessen."

250 Hektar Fläche: Ein Ort für die Toten und Lebenden

300.000 Gräber hat der Friedhof, drei Millionen Menschen sind seit Beginn darauf bestattet worden, das ist europäische Spitze. Mit seinen 250 Hektar Fläche ist er fast so groß wie die Wiener Innenstadt. Ein Ort für die Toten ist das und zugleich ein Ort für die vielen auf und mit ihm Lebenden.

Was zeichnet diesen Fleck Erde aus? Da muss Julia Stering nicht lange überlegen: "Wir sind da für die Grabbesucher", sagt sie, "zugleich sind wir
touristischer Hotspot, Naherholungsgebiet und ein bedeutender ökologischer Raum."

Stering (34) ist Pressesprecherin der "Friedhöfe Wien" und sagt voller Begeisterung: "Ich liebe Friedhöfe. Das sind Orte, die die Stadt abbilden."

"Ich liebe Friedhöfe", sagt Pressesprecherin Julia Stering.
"Ich liebe Friedhöfe", sagt Pressesprecherin Julia Stering. © Patrick Guyton

Eine nur einigermaßen vollständige Aufzählung, welche Künstler, Schauspieler, Prominente oder Politiker auf dem Zentralfriedhof ihre letzte Ruhe genießen, würde die Dimension sprengen. Ein paar davon: Christiane Hörbiger, Curd Jürgens, Hans Moser, Karl Kraus, Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Johannes Brahms, Franz Schubert, Vater und Sohn Johann Strauß, Arnold Schönberg. Sowie alle seit 1950 verstorbenen österreichischen Bundespräsidenten.

Falco, Ludwig van Beethoven, Udo Jürgens: Letzte Ruhestätte von wahren Legenden

Die klaren Top drei sind aber nach Beobachtung der Wiener Friedhöfe in alphabetischer Reihenfolge: Ludwig van Beethoven, Falco alias Hans Hölzel und Udo Jürgens, auf dessen Grab die Nachbildung eines weißen Flügels steht. "Deren größte Popularität erkennen wir deutlich an den vielen Beigaben", erklärt Julia Stering. Also Kerzen, Blumen, Maskottchen, Fotos.

Das sieht auch Friedhofs-Vielbesucher Johannes Lex so – leider. "Meine Frau liegt in der Nähe vom Falco", erzählt der 75-Jährige. "Da verschwinden immer wieder Kerzen und Blumen und landen dann bei ihm." Mindestens ein Mal in der Woche kommt Lex, ein ehemaliger Bankangestellter, zu seiner Frau Heidemarie Lex-Nalis. Sie war eine bedeutende Pädagogin und Pionierin in der Elementarpädagogik für kleine Kinder.

2018 ist sie mit 67 Jahren an Brustkrebs verstorben. "Ihre Urne stand jahrelang bei mir auf dem Klavier", erzählt Lex. Ihr Taufkind hatte dann einen Grabstein gestaltet, sie kam unter die Erde. Ihre zentrale Botschaft, so der Witwer: "Ich bin ich, und ich bin etwas wert."

"Ich komme dann mit ins Grab"

Johannes Lex lässt sich auch verbrennen, "ich komme dann mit ins Grab". Sein Geburtsdatum hat er schon auf den Stein eingravieren lassen: 1949. Er und die Friedhofs-Bloggerin Karin Kiradi kennen sich, sind befreundet. Sie lachen auch viel zusammen. Nach Simmering fährt man, so Lex, "mit der Straßenbahnlinie 71 zum Sterben".

"Und irgendwann bleib' i dann durt", heißt es auf den T-Shirts.
"Und irgendwann bleib' i dann durt", heißt es auf den T-Shirts. © Patrick Guyton

Kiradi war mal auf einem Armenbegräbnis: "Einfachste Holzkiste, keiner da, der Bagger hat es gleich zugeschaufelt." Und das morgens um 8.10 Uhr. "Ich bin keine Frühaufsteherin, das wäre mir zu früh für meine Beerdigung."

Schwarzer Humor und besonderer Totenkult: "Eh scho wuascht"

Am Eingang steht der Wiener Würstelstand mit dem Slogan: "Eh scho wuascht". Und ein Mitarbeiter, der die Getränkeautomaten auf dem Friedhof auffüllt, beklagt, dass die Verwaltung ihm eine Aufschrift verboten hat: "Der Duarschd bringt mi no um".

Am Eingang steht der Würstelstand mit dem Slogan: "Eh scho wuascht".
Am Eingang steht der Würstelstand mit dem Slogan: "Eh scho wuascht". © Patrick Guyton

Karin Kiradi schreibt in ihrem Blog zum Beispiel von dem heute vergessenen Komponisten Karl Goldmark, der aus einer armen Familie stammte und bis zu seinem zwölften Lebensjahr weder lesen noch schreiben konnte.

Oder von der jüdischen Familie Mühlstein. Elias Mühlstein starb 1931 mit 59 an einem Herzinfarkt, sein Grab ist weiterhin auf dem Friedhof. Viele andere Familienmitglieder wurden in den NS-Gaskammern ermordet.

Auch erzählt Kiradi von der "ersten schönen Leich", wie sie sagt, auf dem Friedhof vom 1. November 1874: Jakob Zelzer, sein Grab mit der Nummer 1, Gruppe 0, Reihe 0 gibt es immer noch. Mit seinem Bruder Johann war er aus dem Böhmerwald nach Wien gekommen, die beiden betrieben offenbar erfolgreich einen Verkaufsladen.

"Pfarrer tanzen mit den Huren": Wolfgang Ambros setzte dem Friedhof ein Denkmal

"Es lebe der Zentralfriedhof und alle seine Toten!" Mit seiner Hymne setzte der Austro-Popper Wolfgang Ambros ein Denkmal, 1974 war das zum 100. Geburtstag. Das Lied über Skelette, die mit Urnen um die Wette saufen, und Pfarrer, die mit Huren tanzen, ist fest verankert im kulturellen Gedächtnis. "Uns freut das", sagt Friedhöfe-Sprecherin Stering.

Am Friedhof stehen die Fiaker mit ihren von zwei Pferden gezogenen Kutschen und warten auf Kundschaft. Täglich gibt es um die 15 Bestattungen. In der großen Aufbahrungshalle 1 findet um elf Uhr die Trauerfeier für Dragan Z. statt, davor steht schon ein Pulk schwarz gekleideter Menschen. Um zwölf Uhr ist Johanna M. dran.

Juden, Christen und Buddhisten liegen nebeneinander

Das Areal hat einen Babyfriedhof, einen Tierfriedhof und einen Mensch-Tier-Friedhof, auf dem Tierbesitzer auch im Jenseits mit ihren Liebsten zusammen sind. Es gibt einen katholischen Teil, einen evangelischen, orthodoxen, jüdischen und buddhistischen. Imker sind zugange, Honig von den "Friedhofsbienen" wird verkauft.

Für Jogger ist eine Runde ausgeschildert – "silent run", der stille Lauf. An den orthodoxen Gräbern – manche gleichen Palästen – wird auch gefeiert. Zu Gedenktagen kommen viele Familienangehörige, essen und trinken dort. Am Zentralfriedhof ist Stimmung.

"Ich finde den Friedhof beruhigend"

Seit zwei Jahren ist Elke Honomann oft hier. Da starb ihr Mann, so erzählt sie, urplötzlich an einem Organversagen. Er war da 50, sie 48. Die Besuche am Grab sieht sie als "Trauerarbeit" und meint: "Ich finde den Friedhof beruhigend."

Schon vor dem Tod des Mannes hatte Honomann gern fotografiert. Dann wurde der Friedhof zu ihrer Passion. Aus allen Perspektiven fotografiert sie Gräber, Tiere wie Vögel, Rehe oder Hasen. Sie blickt auf Details, auf Statuen, spielt mit Licht und Schatten.

So ziemlich jeden Samstag und Sonntag ist Elke Honomann auf dem Friedhof, sie kommt ganz früh, wenn geöffnet wird - im Sommer um sieben, im Winter um acht Uhr. Mittlerweile gibt die Außendienstmitarbeiterin nebenher Fotokurse.

So hat sie um den Mann getrauert und sagt nun: "Ich hadere nicht mehr damit. Ich habe einen Seelenpartner. Und ich bin froh, dass es gewesen ist."

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