München Displaced – im Stadtmuseum und im Jüdischen Museum

Eine Doppelausstellung zeigt München als Drehscheibe für Heimatlose nach dem Zweiten Weltkrieg.
von  Adrian Prechtel
Aus einem Polizeiauto fotografierte Geschäfte an der Möhlstraße in Bogenhausen. Hier hatten die Amerikaner Häuser beschlagnahmt und DP-Einrichtungen zur Verfügung gestellt.
Aus einem Polizeiauto fotografierte Geschäfte an der Möhlstraße in Bogenhausen. Hier hatten die Amerikaner Häuser beschlagnahmt und DP-Einrichtungen zur Verfügung gestellt. © Stadtarchiv

München - Kurz nach der Stunde Null, die natürlich nie ganz eine war, beherbergte das zerbombte München noch rund 500 000 Einwohner. Was vielen heute nicht mehr bewusst ist: 100.000 davon waren so genannte "Displaced Persons" – also Heimatlose.

Diese 20 Prozent der Bewohner Münchens waren eine völlig heterogene Gruppe: Befreite aus den KZ, zumeist aus dem im Krieg besetzten Osteuropa deportierte Zwangsarbeiter, aber auch Russen oder Ukrainer, die mit deutschen Truppen gegen die Sowjetunion gekämpft hatten. In Europa geht man von elf Millionen Menschen aus, die mit traumatischen Erinnerungen und einer ungewissen Zukunft nach Kriegsende erst einmal außerhalb ihrer alten Heimat waren.

"In München ist dieser Aspekt der Stadtgeschichte eine Leerstelle, die wir langsam füllen", sagt Hannah Maischen. Sie ist Kuratorin der Ausstellung "München Displaced", nun zu sehen im Stadtmuseum und gegenüber im Jüdischen Museum am Jakobsplatz. Das Grundkonzept ist topografisch – das heißt, vor allem Adressen und Orte zeigen das Leben und die Organisation der Displaced Persons in München.

Im zweiten Stock des Stadtmuseums sind rundherum an der Wand Fotos, Straßennamen und Hausnummern sowie kurze Texte angebracht - wo ein Foto fehlt, werden Besucher aufgefordert, mit zu forschen, ob noch das eine oder andere Dokument privat aufzutreiben wäre. Besonders spannend ist hier, was sich ab Mai 1945 in Bogenhausen abspielte.

Makabere Nachbarschaft: Die Häuser der Neuen Siedlung Ludwigsfeld entstanden neben ehemaligen KZ-Baracken. Die Aufnahme entstand 1953.
Makabere Nachbarschaft: Die Häuser der Neuen Siedlung Ludwigsfeld entstanden neben ehemaligen KZ-Baracken. Die Aufnahme entstand 1953. © Privat / Familie Thiel

Rund 20 Hausnummern und Adressen sind allein der Möhlstraße. "Hier waren besonders viele Villen von Nazis gewesen und hier war vieles unzerstört, so dass die Amerikaner fast den gesamten Straßenzug beschlagnahmten", erklärt Jutta Fleckenstein, die Kuratorin des Ausstellungsteils im Jüdischen Museum: "Der Rest der Geretteten."

In der Möhlstraße gab es daher schon kurz nach dem Krieg Redaktionsgebäude für DP-Zeitungen, Büros von Sportvereinen und in Holzkiosken auf den Grundstücken auch wieder die ersten jüdischen Läden sowie einen Schwarzmarkt.

Von den aus der Wolgagegend stammende Kalmücken wohnten viele in Ludwigsfeld, wo auch ein buddhistischer Tempel in einer ehemaligen Lagerbaracke entstand. Das Foto stammt von 1958.
Von den aus der Wolgagegend stammende Kalmücken wohnten viele in Ludwigsfeld, wo auch ein buddhistischer Tempel in einer ehemaligen Lagerbaracke entstand. Das Foto stammt von 1958. © Staatsbibliothek

Ein Teil der Ausstellung ist auch den vielen neuen Bildungseinrichtungen gewidmet, die in München entstanden: wie die bis heute bestehende Freie Ukrainische Universität oder die Tostoi-Bibliothek mit dem größten Bestand russischer Literatur außerhalb Russlands.

Wenn man die Orte des Stadtlebens der DPs auf einem Stadtplan einzeichnet, bemerkt man auch viele bekannte und markante Orte: das Rathaus, das den ersten DP-Kongress beherbergte, das Grünwalder Stadion mit Fußballspielen oder Deutsche Museum - das schon zu vor ein Zwangsarbeiterlager war - wurde wieder benutzt zur Unterbringung von DPs.

Überhaupt ist es eine makabre Ironie, dass ausgerechnet viele ehemaligen NS-Lager wiederverwendet werden mussten, um DPs unterzubringen. Eine ganz neue Siedlung entstand aber in Ludwigsfeld – ebenfalls kein Zufall, denn hier war bereits ein Zwangsarbeiterlager und eine KZ-Außenstelle für die Rüstungsarbeit bei BMW gewesen.

Die Tolstoy Foundation in New York unterstützte mit Care-Paketen auch viele in München gestrandete DPs aus Osteuropa.
Die Tolstoy Foundation in New York unterstützte mit Care-Paketen auch viele in München gestrandete DPs aus Osteuropa. © Archiv des Tolstoi-Hilfs- und Kulturwerks

Jetzt zog man hier eine Siedlung für 3.000 Menschen hoch. Im Stadtmuseum befinden sich hierzu - neben Schautafeln mit Familienbiografien auch Hörstationen mit Interviewausschnitten mit Familienangehörigen aus Ludwigsfeld, die zum Teil in der dritten oder vierten Generation hier leben.

Filmausschnitte aus dem Bundesarchiv oder von amerikanischen Institutionen ausgeliehen sind kleine Münchenkrimis auf Leinwänden in der Ausstellung: wie eine Razzia am Isarufer gegen den Schwarzmarkt oder die Rede eines DP-Funktionärs über das Versagen der Welt, die Verbrechen der NS-Zeit zu verhindern.

Hinter Zahlen stecken natürlich Einzelschicksale, die die Ausstellung beispielhaft gut herausarbeitet und erzählt. Und dennoch sagen auch Zahlen selbst etwas: Schon Ende 1945 war die Zahl der DPs in München wieder auf nur noch 18 000 gesunken, weil die sogenannte "Repatriierung" bereits in Gang gekommen war.

Viele jüdische Überlebende wanderten ab 1948 in den neuen Staat Israel oder in die USA aus. Dafür kamen in dieser Zeit wieder Hunderttausende in Deutschland dazu, die aus Osteuropa vor dem Stalinismus in die westlichen Besatzungszonen flohen. Und viele DPs wollten oder konnten auch nicht mehr zurück, weil ihnen im Machtbereich der Sowjetunion Repressionen oder der Tod drohte.

Das Jüdische Museum hat einen größeren Teil seiner Ausstellung auch der Synagoge in der Reichenbachstraße gewidmet, die – nach ihrer Zerstörung 1938 –bereits 1947 wiedereröffnet wurde. Da sie gerade restauriert wird, auch um in den ursprünglichen Zustand von 1931 rückgebaut zu werden, sind aus der Zeit nach 1945 viele Gegenstände Teil der Ausstellung. Und ein Kapitel widmet sich auch der "Ausstellung der jüdischen Künstler" 1948 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus - mit Künstlerbiografien und Originalbildern.


Bis Anfang 2024, Stadtmuseum / Jüdisches Museum, Di - So, 10 bis 18 Uhr, 6 / 3 Euro (Kombiticket). Wer weiteres Material über Displaced Persons in München hat, kann das einbringen und unter juedisches.museum@muenchen.de Kontakt aufnehmen

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