Mittsommernachts-Bilderrausch

Die Kunst des Nordens hat viel mehr zu bieten als Edvard Munch. Man weiß es kaum, aber das müsste sich bald ändern – mit der Ausstellung „Aus Dämmerung und Licht“ in der Hypo-Kunsthalle
Christa Sigg |
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Albert Edelfelts "Leichenzug des Kindersarges" aus dem Jahr 1879.
13 Albert Edelfelts "Leichenzug des Kindersarges" aus dem Jahr 1879.
Akseli Gallen-Kallelas "Seeblick", 1901,
aus dem Ateneum Art Museum in Helsinki.
13 Akseli Gallen-Kallelas "Seeblick", 1901, aus dem Ateneum Art Museum in Helsinki.
Anna Anchers "Erntezeit" aus dem Jahr 1901.
13 Anna Anchers "Erntezeit" aus dem Jahr 1901.
Vilhelm Hammershoi hat dieses "Interieur mit junger Frau in Rückenansicht" in den Jahren 1903 bis 1904 gemalt.
13 Vilhelm Hammershoi hat dieses "Interieur mit junger Frau in Rückenansicht" in den Jahren 1903 bis 1904 gemalt.
Der "Mittsommernachtstanz" von Anders Zorn (1897).
13 Der "Mittsommernachtstanz" von Anders Zorn (1897).
Edvard Munch muss natürlich sein in einer Ausstellung mit nordischer Kunst: Hier die "Frau im roten Kleid" aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.
13 Edvard Munch muss natürlich sein in einer Ausstellung mit nordischer Kunst: Hier die "Frau im roten Kleid" aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.
Carl Larssons "Spielvorbereitung" aus dem Jahr 1901.
13 Carl Larssons "Spielvorbereitung" aus dem Jahr 1901.
Verner Thomé: Badende Jungen, 1910, Öl/Leinwand, 108,5 × 130 cm, Ateneum Art Museum, Helsinki
Hannu Aaltonen 13 Verner Thomé: Badende Jungen, 1910, Öl/Leinwand, 108,5 × 130 cm, Ateneum Art Museum, Helsinki
Christian Krohg: Krankes Mädchen, 1880 – 1881, Öl/Holz, 102 x 58 cm aus dem National Museum of Art, Architecture and Design, Oslo.
Jacques Lathion 13 Christian Krohg: Krankes Mädchen, 1880 – 1881, Öl/Holz, 102 x 58 cm aus dem National Museum of Art, Architecture and Design, Oslo.
"ruder St. Martin und die drei Trolle" von John Bauer, 1913.
13 "ruder St. Martin und die drei Trolle" von John Bauer, 1913.
Harald Slott-Moller, Dänische Landschaft, 1891, Öl, Gold/Metallrelief, 41 × 70 cm aus dem Statens Museum for Kunst, Kopenhagen.
www.smk.dk 13 Harald Slott-Moller, Dänische Landschaft, 1891, Öl, Gold/Metallrelief, 41 × 70 cm aus dem Statens Museum for Kunst, Kopenhagen.
Ausstellung: Mittsommernachts-Bilderrausch  - Kunst - Abendzeitung München
Hypokunsthalle 13
P.S. Kroyer hat diesen "Sommerabend am Südstrand" gemalt, mit Anna Ancher und Marie Kroyer - und in der Künstlerkolonie Skagen, 1893.
13 P.S. Kroyer hat diesen "Sommerabend am Südstrand" gemalt, mit Anna Ancher und Marie Kroyer - und in der Künstlerkolonie Skagen, 1893.

Die Kunst des Nordens hat viel mehr zu bieten als Edvard Munch. Man weiß es kaum, aber das müsste sich bald ändern – mit der Ausstellung „Aus Dämmerung und Licht“ in der Hypo-Kunsthalle

Was für ein Schrei! Mitten auf einem schier endlosen kahlen Feld kniet eine junge Frau neben einem alten Knecht und brüllt ihre Verzweiflung aus dem blassen Leib. Wie tot liegt der Mann da, zusammengebrochen unter der Last lebenslanger Schinderei. Der knappe Bildtitel „Erschöpft“ (1889) liest sich wie eine lakonische Untertreibung. Aber wer soll diesen Hilferuf schon hören, weit draußen, fern vom Hof und erst recht einem Arzt?

Das eindringliche Großformat hat dafür im Zentralraum der Hypo-Kunsthalle einen exponierten Platz gefunden. Nur der Maler Hans Andersen Brendekilde ist hierzulande so wenig bekannt wie das Gros seiner Kollegen, deren oft verblüffende Werke man nun – und hier stimmt tatsächlich die alte Floskel – in München entdecken kann. Die zweifellos sozialkritisch aufzufassende Arbeit des dänischen Künstlers zählt noch nicht einmal zu den spektakulären Beispielen der 120 Exponate umfassenden „Nordischen Malerei von 1860 bis 1920“, die hier zu sehen ist. Sie zeigt allerdings mit Nachdruck, dass es Beträchtliches an Qualität gibt neben den Schweden Carl Larsson und Anders Zorn, dem fabelhaften Vilhelm Hammershøi aus Dänemark und Superstar Edvard Munch, der nicht nur durch den irrwitzigen Auktions-Hype des Kunstmarkts allzu dominant geworden ist.

Immerhin: Vier Munchs zieren die in Kooperation mit dem Groninger Museum entstandene Schau. Seriöserweise hat man der Verlockung widerstanden, mit dem attraktiven Norweger im Titel zu werben. Und schließlich ist die Veranstaltung auch als Gegen-Schrei zu verstehen, der aus Regionen tönt, deren Kreativpersonal man allzu gerne Epigonentum unterstellt.

Natürlich zog’s viele nach Paris, auch nach Düsseldorf und München, zwei Akademien in fünf Nord-Ländern, von denen drei dabei waren, ihre Unabhängigkeit durchzusetzen, sind dürftig. Aber das am „Nabel der Kunst“ Eingesogene fließt zu Hause – die meisten treibt es wieder zurück – in ganz eigene Kanäle. Der Finne Akseli Gallen-Kallela etwa wandelt Symbolismus und Jugendstil, die ihn in Frankreich prägen, zu einer ganz eigenen, abgedrehten, von nationaler Mythologie geprägten Handschrift. Und selbst die dänische Malerin Agnes Slott-Møller, die mit ihren präraffaelitisch anmutenden Bildern reichlich anachronistisch daherkommt, greift mehr als nur latent aktuelle Strömungen ihres Landes auf.

Doch mit stilistischen Einordnungen kommt man im Norden nicht weit, genauso wenig mit Begriffen wie Fortschritt oder Modernität. Entscheidend ist die Individualität. Und oft genug gären unter einer vermeintlich konventionellen, auch virtuosen Oberfläche die eigentümlichsten Geschichten. Der farbflirrende Impressionismus, der häufig genug als Quelle der Inspiration dient, kann nie so recht Fuß fassen. Es geht nicht ohne Inhalt in den Ländern der Trolle und des Mangels an Licht, und sei es in zartesten Anspielungen. Auch der Tod ist allgegenwärtig, nicht nur wenn Richard Berghs Sensenmann seinem Mädchen eine Pusteblume über die Schulter reicht (1888). Oder ein Bub in Harald Slott-Møllers (dem Gatten von Agnes) „Die Armen“ (1888) in der dunklen Türöffnung den Schnitter erblickt.

Melancholie, selbst pathologische Schwermut finden zu sonderbar anziehenden Formen, der malende Schriftsteller August Strindberg ist hier faszinierendes, Ernst Josephson (Gänseliesel) grelles Beispiel. Dazwischen heile Familienwelt (Larsson), stille Seen, Märchenhaftes, auch Provokantes (Zorns Lautenspielerin). Diese Kunst „Aus Dämmerung und Licht“ ist ein lohnendes Terrain. Und der hohe Anteil malender Frauen muss jeder Gleichstellungsbeauftragten Tränen der Freude in die Augen treiben.
 

Hypo-Kunsthalle, bis 6. Oktober 2013, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 25 Euro

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