Mit Kiebitzei und Steinpilzstiel
Hart gekochte Kiebitzeier und Steinpilzstiele, pochiertes Knochenmark und Seekohl – kurios sind allein schon die Zutaten, die in diesem Kochbuch verbraten werden. Tatsächlich kann man alles essen, ohne sich den Magen zu verrenken. Aber Andy Warhol wäre natürlich nicht Andy Warhol, stünden da einfach nur ein paar Hamburger- oder Cookie-Rezepte.
Dabei hatten er und seine „Collaborateuse”, die Designerin Suzie Frankfurt, sich eben noch über französische Kochbücher mokiert, die in den 50ern in Mode gekommen waren, um diesen „gigantischen, aufwendigen Gerichten” mit ihrer Rezeptsammlung „Wild Raspberries” 1959 noch eins drauf zu setzen. Unter Amerikas Hausfrauen wurden die „Wilden Himbeeren” verständlicherweise kein Bestseller, ein Kritiker bemerkte, das Werk sei allenfalls geeignet, „in einer Frühstücksecke oder im Hobbykeller fröhliche Stimmung zu verbreiten”. Mit der Etablierung der Pop Art Mitte der 1960er Jahre schoss der Wert der Kochbuch-Blätter allerdings rapide in die Höhe.
Wie so vieles, das Warhol bald rastlos und mit Hilfe eines fein ausgeklügelten Produktionssystems auf einen gierig gewordenen Kunstmarkt hinausballerte. Dass neben all seinen bunt kreischenden Ikonen die Kammermusik, also die Grafik, ins Abseits geraten ist, korrigiert nach der überraschende Schau mit Zeichnungen Warhols in der Pinakothek der Moderne (siehe auch AZ vom 14.9.) nun eine weitere Münchner Ausstellung: Im Museum Brandhorst lernt man den Künstler als Illustrator, Autor, Verleger, ja überhaupt als Bibliophilen kennen – mehr als 100 Bücher kann man mit dem Factory-Guru in Verbindung bringen.
Und, das zeigt sich bei „Reading Andy Warhol” auf den ersten Blick: Der sich sonst mit Vorliebe oberflächlich plakativ gerierende Art-Entertainer geht im Reich der Bücher und der Literatur durchaus in die Tiefe. Selbst leidige Brotjobs erledigt er mit unglaublicher Sorgfalt und Sensibilität, dazwischen blitzt oft genug köstlicher Witz durch. Ob er nun Einbände entwirft oder Texte illustriert. Auffallend ist sein auf Konturen konzentrierter Stil, überdeutlich sind die Parallelen zu den Zeichnungen in der Pinakothek nebenan. Auch die Warhol-typischen Techniken des Pausens, Kopierens, Abklatschens ziehen sich durch das Gros der Objekte – sie stammen vor allem aus der buchreichen Sammlung Brandhorst und der Staatsbibliothek.
Nach den ersten Promotional Books der frühen 50er und den Kinder- und Kochbüchern der Sixties sind es später die Fotobände voll Gestrauchelter oder Celebritys, mit denen er längst auf Du und Du steht: Bianca Jagger bei der Achselrasur, fiese Dekolletés, Gesichter, die sich nicht im besten Licht präsentieren, Botox-Fratzen. Auch Pornografisches gibt es, und schließlich greift Warhol mit dem Kennedy-Mord das US-Trauma schlechthin auf. Womit wir dann doch wieder bei einer – typischen – Ikone sind.
Museum Brandhorst, bis 12. Januar 2014, Katalog (Hatje Cantz) 39.80 Euro