Mit einem Touch ins Reich der Toten

Am Dienstag öffnet das neue Museum Ägyptischer Kunst fürs Publikum. Damit sich wirklich alle am Nil zurecht finden, hat sich der Innenarchitekt Christian Raißle einiges einfallen lassen
von  Christa Sigg

Er spricht mit gedämpfter Stimme. Lärm mag Christian Raißle gar nicht, und wenn irgendwo eine Hilti aufheult, wechselt er lieber den Raum. Verständlich. In den letzten Wochen und Monaten lag das Gejaule von Hebebühnen, Bohrern oder Staubsaugern dauernd in seinen Ohren – Raißle verantwortet die Ausstellungsgestaltung im Museum Ägyptischer Kunst, wie es ein bisschen hölzern heißt. Sprich, mit seinem Team Die Werft sorgt der 42-Jährige dafür, dass Götter und Pharaonen, Vasen, Scherben oder abgebrochene Nasen den richtigen Auftritt bekommen.

Natürlich läuft die Zeit davon, in zwei Tagen, am 10. Juni, wird das neue Haus an der Gabelsbergerstraße mit allem Staatspipapo eröffnet, ab Dienstag darf dann das Publikum in die unterirdischen Hallen. Also ist jetzt Feinschliff angesagt, von den letzten Beschriftungen bis zur optimalen Beleuchtung. Und während Raißle den brandneuen Multimediaguide vorführt, kann er sich nicht verkneifen, neben der Statue des Jeje ein Schild gerade zu rücken. Nichts soll stören oder vom Objekt ablenken. Auf Raißle und Co. übertragen heißt das, die Gestaltung soll nicht nach der Werft aussehen, sondern das alte Ägypten erklären, vermitteln, erlebbar machen.

Und das darf so modern und so bequem ablaufen wie nur möglich. Die Besucher brauchen sich nicht mit dem Eintippen irgendwelcher Codes herumschlagen, hier läuft alles (fast) von selbst. Der erwähnte Multimediaguide, den es (ab 18. 6.) gratis zum Eintrittsticket gibt, schaut aus wie ein größeres Smartphone und funktioniert wie ein Navigationsgerät. Heißt: der Guide begleitet den Besucher auf Schritt und Tritt, auf dem Bildschirm ist das schön zu verfolgen, und egal wo man steht – die passende Information wird geliefert. Allerdings nur, wenn man will und das entsprechende Symbol antippt.

Solche Geräte sind neu, die Software wurde eigens fürs Ägyptische Museum entwickelt. Genauso wie die sechs Medienwürfel. Auch hier wird mit Touchscreens gearbeitet, der Besucher entscheidet, wie tief er in die Materie einsteigen möchte, ins Pharaonentum oder die Bierbrauerei, die wie so vieles schon vor Jahrtausenden am Nil gepflegt wurde. Raißle weiß natürlich, dass man die Leute nicht überfrachten darf. Und schon gar nicht mit endlosen Texten quälen sollte. Also wurden die Ägyptologen schon mal eingebremst in ihrem Schreib-Elan. Was nie ein Problem war. Direktorin Sylvia Schoske legt größten Wert auf die Vermittlung: Der Stoff muss wissenschaftlich fundiert sein, soll aber gut schmecken.

Da helfen der Blick von außen und die Erfahrung. Seit rund fünfzehn Jahren richtet Raißle Museen ein, schon beim Studium der Innenarchitektur in Rosenheim hat sich der Münchner damit beschäftigt und schnell gemerkt: „Wenn ich’s verstanden hab’, kann ich’s auch vermitteln.“ Die von der Werft gestaltete „Entwicklung des Universums“ im Deutschen Museum zählt zu den absoluten Besucherhits, dazu kommen die geheimnisvoll güldene Schmuckerlebniswelt in Pforzheim, die Elektromobilitäts-Schau im Verkehrszentrum auf der Theresienhöhe oder – ganz aktuell – die Neugestaltung des Naturhistorischen Museums in Bordeaux.

Am besten funktioniert das mit sehr unterschiedlichen Fachleuten. In der Werft werkeln deshalb nicht nur Innenarchitekten, sondern genauso Medien- und Produktdesigner, Kartografen oder ein Germanist. Und dann entstehen Zeitmaschinen, mit denen man durch alle möglichen Epochen des antiken Ägypten switchen kann. Oder Unikate wie der Bildschirm, der am acht Meter langen Totenbuch entlang gleitet. Zentimeter für Zentimeter spuckt der die Übersetzung aus und erklärt auch noch, was da gerade im Jenseits verhandelt wird. Wie Verstorbene sich vor Dämonen schützen. Oder ein Totengericht gut überstehen. Was man nicht früh genug trainieren kann.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.