Meredith Monk im Haus der Kunst: Aus der Spirale des Gesangs

Odysseus soll öfters vom Kurs abgekommen sein, doch auf der Münchner Prinzregentenstraße war er sicher nicht unterwegs. Mit dem Schiff kommt man dort schlecht vorwärts. Wenige Meter vor dem Haus der Kunst beginnt es allerdings so fein zu säuseln, dass man unwillkürlich an den antiken Helden denken muss. Eine Frauenstimme lockt ohne jedes Vibrato und in einer Höhe, die sich erstaunlich gegen den dumpfen Verkehrslärm behauptet. Man ist gefangen von dieser Sirene, und tatsächlich gibt es für die großartige Meredith Monk keinen besseren Auftakt.
Wer diese verrückt talentierte Künstlerin mit den dünnen langen Zöpfen auch nur ein einziges Mal gehört hat, dem fädelt sich dieses insistierende Timbre ins Gedächtnis. Ganz gleich, ob sie in tiefere Lagen hinabsteigt oder sich über drei Oktaven hinauf gluckst, gurgelt, grunzt, zirpt, kreischt, hechelt und sogar jodelt, um dann zur Beruhigung wieder Vokalisen in den Raum gleiten zu lassen.
Bei Monk-Fans stapeln sich die Aufnahmen, 13 Platten sind es mittlerweile, die sie seit 1981 beim Münchner Label ECM aufgenommen hat. Manfred Eichers Gespür war wie so oft goldrichtig, sein Mut, auf eine Musikerin zu setzen, die zwischen allen Stühlen ständig Neues austüftelt, beachtlich. Insofern passt es ausgesprochen gut, dass das längst klangaffine Haus der Kunst ihr nun auch die erste Retrospektive ausrichtet und damit sämtliche Seiten dieses Schaffens erlebbar macht: die Filmarbeiten, das Tänzerische und die Performances, die Skizzenbücher und Zeichnungen, die Installationen, die das alles zusammenbringen – immer auf der Basis ihrer Musik.
Die Kunst geht vom Körper aus
Die gibt den Rhythmus vor, deshalb wird man in diese Ausstellung so schnell hineingezogen, der Titel "Calling" kommt nicht von Ungefähr, und es bleibt "körperlich" und persönlich. Monks Bilderwelten kreisen um die menschliche Existenz, da ist sie nah dran an Joan Jonas und fast mehr noch an Kiki Smith. Wenn Monk sich etwa in ihrer 1976 konzipierten Oper "Quarry" ("Gejagte") mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzt, dann sind es weniger die Koffer am Boden, die im Fokus stehen, und auch nicht die Flugzeuge, die zwischen fetten Wattewolken von der Decke hängen, sondern ein simples Bett.
In dem hat ein krankes, von Alpträumen geschütteltes Kind zu liegen, das wird in der Videoaufnahme von einer jungen Meredith Monk im Schlafanzug gespielt. Und zwischen dem Rauschen eines Radios und Klaviersoli hört man sie wieder singen oder vielmehr: ansingen gegen den Wahnsinn und die "Krankheit der Welt", wie es Monk ausdrückt. Am eigenen Körper ist alles nachzuvollziehen und nachzuspüren. Deshalb taugen Bewegung und Stimme so sehr zur Vermittlung.
Beides ist bei ihr tief verwurzelt. In Monks Familie wurde dauernd gesungen. Der Urgroßvater war Kantor an einer Moskauer Synagoge, der nach New York ausgewanderte Großvater ausgebildeter Bassbariton, eine Großmutter Konzertpianistin, und weil die kleine Meredith wegen ihres starken Schielens mit motorischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, schickte sie die Mutter – natürlich auch eine professionelle Sängerin – zur Eurythmie. Als Monk ihr Studium am elitären Sarah Lawrence College aufnahm, wo sich bereits Yoko Ono kurz mit klassischer Musik beschäftigt hatte, war sie im Grunde schon ein Profi. Und danach schien die neue künstlerische Szene, die sich Anfang der 1960er Jahre in New York zu etablieren begann, auf eine wie Monk nur gewartet zu haben.
Grenzen waren dazu da, um ignoriert zu werden, und in Galerien, Off-Theatern, Lofts und auf der Straße wurde experimentiert, musiziert – vorzugsweise mit Alltagsgegenständen – gefilmt, gemalt und performt. Monk taucht ein in diesen Zirkus ohne Zwang, lernt Weggefährten wie John Cage und Steve Reich kennen, Nam June Paiks Celle-Heroine Charlotte Moorman, Bruce Nauman und Roy Lichtenstein.
In "16 Millimeter Earrings" gelingt ihr 1966 dann auch schon die Zusammenführung zu einer Art Gesamtkunstwerk aus Tanz, Film, Objektkunst, Musik und Gesang, Tonkonserven und Licht. Monk entfacht einen multimedialen Feuerzauber, und bei näherem Hinhören wird es für damalige Verhältnisse fast delikat, denn sie singt und rezitiert aus der fragwürdigen Orgasmus-Lehre des Freud-Schülers Wilhelm Reich. Ob deshalb mickrige Papierflämmchen flattern?
Monks Stimme trägt durch die ganze Ausstellung
Egal, für Monk ist es der Durchbruch. Dann springt sie auch schon auf die nächste Bühne und hat mit dem Guggenheim Museum und Frank Lloyd Wrights Spirale gleich noch ein architektonisches Kunstwerk gefunden, das sie 1969 virtuos kapert. Das heißt: mit tanzendem und singendem Personal, das in der Kantate "Juice" ihre zentrale Frage nach dem Einfluss des Raums auf Bilder und Zeit stellt.
Solches muss man vor Ort erleben. Die roten Kampfstiefel der Performer, die sich jetzt dekorativ vor den Filmwänden stapeln, erzählen allenfalls von der Anstrengung. Das ist die Krux solcher musealen Installationen. Entsprechend funktionieren die "Shrines" bzw. Schreine besser, obgleich auch in den abgezirkelten Raumeinheiten öffentliche Auftritte auf Objekte, Filme und Klänge reduziert sind. Immerhin kann man sich hier zurückziehen, versenken und der Stimme Monks lauschen. Die ist das Herz dieser Schau, schon weil sie jedes Genre und jede Eingrenzung übertönt.
"Meredith Monk. Calling" bis 3. März 2024 im Haus der Kunst München, täglich außer dienstags von 10 bis 20, donnerstags bis 22 Uhr