Menschen und Landschaften

Vom Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher wurde der Sammler Lothar Schirmer zu August Sander „gedrängt“. Mit schönen Buchfolgen – und nun einer Schau in der Pinakothek der Moderne
Christa Sigg |
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Selten kommt in den Räumlichkeiten hinter der luftigen Rotunde so viel Schwergewichtiges zusammen. An den Ziegeln, die der berühmte „Handlanger“ nun schon seit gut über 80 Jahren auf seinen Schultern trägt, liegt das weniger, als an all den ernsten, manchmal fast schon verdrießlichen, bitteren Mienen. Selten lächelt jemand, nur dazwischen mal eine Lyzealschülerin oder zwei, drei Leute vom Zirkus. Aber August Sander (1876 - 1964) geht es nicht um seelische Befindlichkeiten, sondern um die „Menschen des 20. Jahrhunderts“, wie dann auch das wichtigste Mappenwerk des großen Fotografen heißt.

Das bildet in Auszügen neben den nicht ganz so bekannten, doch umso erstaunlicheren „Rheinlandschaften“, Arbeiten von den Bechers, Thomas Ruff, Andreas Gursky, Thomas Struth, Jeff Wall und Cindy Sherman das Zentrum einer Jubiläumsschau in der Pinakothek der Moderne.

Sanders Menschen sind eindringliche Gäste

Natürlich, der Todestag August Sanders jährt sich am 20. April zum fünfzigsten Mal. Der eigentliche Grund ist allerdings deutlich vitaler: Zum 40-Jährigen des Schirmer/Mosel-Verlags hat der Patron Foto-Schätze aus seiner potenten Sammlung geholt, um ein größeres Publikum dran teilhaben zu lassen (der „Denker“ – kürzlich erst in der Wall-Schau zu sehen – und auch Sherman blinken wie solitäre Grußbotschaften durch die Ausstellung). Was sich sonst aus diesem Museums-Intermezzo ergeben könnte, weiß aber womöglich noch nicht einmal Lothar Schirmer selbst.

Jetzt sind Sanders Menschen erst einmal eindringliche Gäste, die man nicht so schnell vergisst. Vergessen will. Denn unser psychologiegeschultes Auge versucht zu analysieren, hinter die Gesichter der Bauern und Arbeiter, des Direktoren und Arbeitslosen, des Juden, Hitlerjungen und des Kriegsinvaliden zu blicken. Das ist umso reizvoller, als sie dem Betrachter aufs Erste sehr nüchtern begegnen, oft genug in einer statischen Haltung, die für die Ewigkeit bestimmt scheint. Sander interessiert sich in seiner visuellen Vermessung für Archetypen, die Geschichten bleiben offen. Doch die von Arbeit gezeichneten Körper, das sich Bewusstsein des Festgehaltenwerdens, Kleidung und Werkzeuge tun ein Übriges. Noch fern von der heutigen Inszenierungssucht.

Die Fotografien strahlen eine zeitlose Modernität aus

Und in ihrer seriellen Abfolge und mehr noch im direkten Nebeneinander gewinnen diese Bilder eine weitere, vielleicht die entscheidende Qualität. Denn Eigenheiten, Spezifika treten deutlicher hervor, genauso sind Positionen im sozialen Gefüge auszumachen.

Die „Rheinlandschaften“ gerieten dafür zum postromantischen Bekenntnis, in gewisser Weise auch im Geiste eines Caspar David Friedrich. Gurskys auf Streifen reduzierter „Rhein II“ hängt in Reichweite, nun ja. Und natürlich Serielles von Bernd und Hilla Becher. Die beiden hatten früh gespürt, dass Sander eine unerschöpfliche Quelle ist, dringend aus der Vergessenheit gehievt werden muss. Aus diesen Bildern leuchtet eine überzeitliche Modernität. Nicht im Fotografieren, sondern im Konzeptuellen.

Pinakothek der Moderne, bis 24. August 2014, Katalogbuch „Menschen vor Flusslandschaften“ (Schirmer/Mosel), 39.80 Euro

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