Magische Melancholie mit Käthe Kollwitz

Käthe Kollwitz und Alexander Dettmar – eine spannende Gegenüberstellung in der Pasinger Fabrik
Man tut dem jungen Künstler keinen Gefallen, ihn mit der hochsensiblen mächtigen Käthe Kollwitz zu konfrontieren“ steht im Gästebuch der Galerie in der Pasinger Fabrik.
Sicher, erstmal fragt man sich, wie viel die konzentrierten, stark vereinfachten und dazu menschenleeren Stadtszenen von Alexander Dettmar und die erschütternden Zeichnungen und eindringlichen Skulpturen von Käthe Kollwitz miteinander zu tun haben. Zu unterschiedlich erscheinen Formate und die Techniken. Dettmar – der „junge Künstler“ ist übrigens 1953 geboren, in Freiburg – malt meistens mittelformatige Ölbilder in einer ziemlich gedeckten, pastos, fast klassisch aufgetragenen Farbpalette, die sich vor allem aus ocker, grau und weiß speist.
Ich will wirken in dieser Zeit
Die in Königsberg geborene Kollwitz (1867-1945) setzt das von ihr zum kreativen Thema gemachte menschliche Leid und die individuelle Not in kleinformatige düstere, dicht komponierte Menschenbilder um. Ihre Mittel: kraftvolle Schwarz-Weiß-Holzschnitte, feine Radierungen, Kohle- und Kreide-Zeichnungen oder kleinere Bronze-Plastiken und Reliefs. Die „Begegnung“ der beiden – Titel der Schau – scheint demnach wohl auf anderen Ebenen stattzufinden.
Da wäre – untere Ebene – die Örtlichkeit. Dettmar, der sich schon früh der Faszination des Nordens und seiner flachen Landschaften hingab, zeigt in Pasing (u. a. neben ganz hellen, miniaturigen Paris-Quadraten) viele Straßen-Häuser-Kompositionen aus Berlin. Das ist genau der Lebensraum von Kollwitz, die seit 1891 im heutigen Trend-Viertel Prenzlauer Berg wohnte und dort ihrer Motive gefunden hat.
In Dettmars Berlin-Bildern werden die Orte des Hungers, des Elends, der Kriegsfolgen, die Kollwitz zu ihrer Kunst mit der populären eindringlichen Bildsprache inspirierten, optisch greifbar. Trotz aller ästhetischen Faszination lassen Dettmars Straßen die von Kollwitz aus dem Vergessen geholten Opfer der kapitalistischen Gründerzeit-Gesellschaft fast wieder lebendig werden.
Ihre Bildtitel – „Vergewaltigt“, „Die Gefangenen“, „Mutter am Bett des toten Kindes“, „Verunglücktes Kind, überfahren“, „Tod im Wasser“, „Tod packt eine Frau“ – verraten ihr Credo: „Ich will wirken in dieser Zeit, in der Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“
Moralisch geprägte Basis
Nur auf einem Bild Dettmars ist ein Mensch zu sehen: „Bäuerin“ zeigt, dass er auch Porträt kann. Dennoch geht es auch in seinem OEuvre um den Verlust der Menschlichkeit (in einer vom schnöden Mammon dirigierten Gesellschaft.)
Bekannt wurde er mit seiner Serie der zerstörten Synagogen in Deutschland. In Pasing zeigt er außerdem Grabsteinbilder vom Jüdischen Friedhof in Berlin – Isidor Silberstein, Moritz Loewenthal, Therese und Benny Rathenau sind darunter. Sakrale Gebäude wie Sacré Coeur in Paris, der Dom von Passau, die Barfüßerkirche in Erfurt illustrieren außerdem den religiösen Bezug, wie er auch Kollwitz charakterisierte.
Weitere Zeichen der Nähe sind die ähnliche moralisch geprägte Basis der beiden Künstler – oder die magische Melancholie, die diese Präsentation umhüllt. Loben darf man die Leistung der Kuratoren, die es erfolgreich wagten, diese unterschiedlichen Werke miteinander zu kombinieren. Um so eine spannungsvolle Atmosphäre voller Assoziationsreichtum zu erzeugen.
Ab 24.1. wird die neue „München-Serie“, die soeben während des „Artist in Residence“-Aufenthalts Alexander Dettmars im städtischen Ebenböckhaus entstanden ist, in die Ausstellung integriert.
Am Sonntag stellt der Künstler seine neuen Arbeiten um 16.30 Uhr in der Pasinger Fabrik dem Publikum vor. Die Ausstellung ist noch bis 14. Februar, Dienstag bis Sonntag jeweils von 16 bis 20 Uhr zu sehen.