Lyriker des Abstrakten

Akte und Alltagsszenen, Landschaften und Wolkenkratzer – vielseitig und feinsinnig war Harry Callahan. Im Stadtmuseum ist dem US-Fotokünstler eine Retrospektive gewidmet
Christa Sigg |
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Es konnte schon mal vorkommen, dass Eleanor am Herd brutzelte und sich ganz schnell ausziehen musste. Ihr Mann war in die Küche gekommen und drängelte. Es ging dann auch meistens rasch, die nackte Eleanor posierte ein paar Minuten – und durfte weiterkochen. Was Harry Callahan (1912-1999) wollte, hatte er im Kasten: wieder eins dieser anmutig kühlen Aktfotos, die jetzt im Rahmen einer umfassenden Retrospektive im Stadtmuseum zu sehen sind.

Wobei das Wort kühl die Sache nicht wirklich trifft. Callahan, dem Autodidakten, ging’s zwar in erster Linie ums Formale, entsprechend sachlich emotionskarg wirken seine Aufnahmen. Aber man spürt, dass hinter der Kamera ein liebevoller Blick den Körper abtastet, die zarte Haut, die Grübchen zwischen den Hüften, immer auf der Suche nach dem idealen Licht, in das dieses „Objekt” getaucht sein sollte. Und dann musste es manchmal eben sofort sein, Eleanor erzählt das in einem Dokumentarfilm, der ein paar Jahre vor dem Tod ihres berühmtem Mannes entstanden ist.

"Gekritzelte" Gräser

Wobei: gefeiert wurde der innovative Harry Callahan in den USA, allein das Museum of Modern Art hat ihn in 38 Ausstellungen gewürdigt. Auf der Biennale in Venedig war er 1978 als erster Fotograf überhaupt vertreten. Hierzulande gibt’s allerdings noch etwas Nachholbedarf. Und man ist verblüfft. Weniger vor den Momentaufnahmen aus Chicago, Detroit, New York, die den Wandel in den USA geradezu feinsinnig auf den Punkt bringen, vor den surrealen Spiegelungen in ganz alltäglichen Schaufenstern, den mehrfach belichteten Autos, Straßenkreuzungen, Giebeln und Häuserfluchten. Vielmehr ist man verwirrt vor schwarzem Gekritzel auf weißem Papier.

Wie mit dünner Kohle oder Tusche gezeichnet, wirken die „Weeds in Snow”, also das Gras im Schnee. Und doch handelt es sich genauso um Fotografie wie bei den Telefonleitungen oder dem Sonnenlicht auf Wasser. Callahan war das kunstvolle Dokumentieren immer zu wenig, er wollte Künstler sein, einer, der noch im Detail die ästhetische Form findet. Ein eleganter Lyriker des Abstrakten.

Münchner Stadtmuseum, "Harry Callahan - Retrospektive", Bis 27. Oktober 2013, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Katalog (Kehrer Verlag) 49.90 Euro

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