Leopard im Fokus: Ausstellung von Natascha Sadr Haghighian im Lenbachhaus

Die städtische Galerie im Münchner Lenbachhaus widmet der Künstlerin Natascha Sadr Haghighian eine kriegskritische Retrospektive.
von  Roberta De Righi
Natascha Sadr Haghighians "pssst LEOPARD2A7+", hier in der Kunsthalle Tirol.
Natascha Sadr Haghighians "pssst LEOPARD2A7+", hier in der Kunsthalle Tirol. © Lenbachhaus

Wenn derzeit vom "Leopard" die Rede ist, geht es meistens um den gleichnamigen Kampfpanzer. Vor Russlands Angriff auf die Ukraine war das Image deutschen Kriegsgeräts – von Rüstungs-Lobbyisten, Potentaten und Militär-Freaks abgesehen – mindestens zwielichtig.

Das hat sich geändert. Deutsche Leopards rollen für die Guten. Aber ein Panzer ist immer noch ein Panzer.

Leopard-Sound-Installation im Lenbachhaus

Der Bedeutungswandel, den der von der Münchner Firma Krauss-Maffei Wegmann produzierte Exportschlager erlebte, brachte Natascha Sadr Haghighian dazu, ihre seit 2013 fortgeschriebene Arbeit "pssst Leopard 2 A7+" erneut zu ergänzen.

Jetzt ist die aktualisierte Sound-Installation im Lenbachhaus zu sehen. Dort präsentiert die an der Bremer Akademie lehrende Künstlerin eine Auswahl ihrer Werke unter dem poetisch-paradoxen Titel "Jetzt wo ich dich hören kann, tun meine Augen weh (Tumult)".

Lenbachhaus: ein Steinklotz als Alter Ego

Eine Ausstellung mit noch mehr Widerborsten. Haghighian, die als Natascha Süder Happelmann mit Steinkopf auf der Venedig-Biennale 2019 dem damaligen Außenminister die Hand schüttelte und im Deutschen Pavillon Migration und Abschottung zum Thema machte, setzt – teilweise mit Biennale-Exponaten – auch im Lenbachhaus auf eine begehbare Collage aus Text, Bild und Klang.

Der damalige Außenminister Heiko Maas im Gespräch mit Natascha Süder Happelmann bei der Biennale von 2019 in Venedig.
Der damalige Außenminister Heiko Maas im Gespräch mit Natascha Süder Happelmann bei der Biennale von 2019 in Venedig. © Jasper Kettner/Lenbachhaus

Der Stein taucht, als Plastik und in Fotografien, ebenfalls auf. "Er spricht nicht, aber er kann ein Zeuge sein", erklärt die Künstlerin ihre Camouflage – ein Steinklotz als Alter Ego.

Künstlerin will Ambivalenz und Mehrdeutigkeit sichtbar machen

Ein weiteres Motiv der Ausstellung ist eine überdimensionierte rote Trillerpfeife. Für Sadr Haghighian hat sie doppelsinnigen Zeichencharakter, weil sie stets "in der Nähe des Tumults beheimatet" ist. Dort wird sie von beiden Seiten genutzt – von Aufrührern wie von regierungstreuen Truppen.

Ambivalenz und Mehrdeutigkeit sichtbar machen, ist Kern ihrer künstlerischen Arbeit. Sprache und Sound sind für sie "poetische Werkzeuge", um Flucht, Abgrenzung und Ausbeutung zu thematisieren. Etwa in der "social media series", die sie mit Steinkopf vor den Zäunen bayerischer Ankerzentren zeigt.

Natascha Sadr Haghighian stellt simple Fragen

Und vor Obst- und Gemüse-Plantagen in Süditalien, wo Migranten zum Hungerlohn Tomaten ernten. Dass die realistische Plastik im Entrée der Künstler-Villa, eine am Boden liegende Plastiktasche, aus der Spargelspitzen ragen, auf Erntehelfer aus Osteuropa verweist, kann man nur in diesem Kontext verstehen. Wer sät, wer erntet? Es sind simple Fragen, die Sadr Haghighian stellt.

Aber selten sind die Antworten einfach: Ihre jüngste Arbeit kreist um die Benin-Bronzen, deren Rückgabe aus deutschen Museen an Nigeria Ende 2022 umstritten ist. Untersuchungen ergaben, dass das bleihaltige Messing der Legierung, aus der die Artefakte bestehen, aus dem Rheinland kommt.

Material aus eingeschmolzenen Armreifen

Das Material stammt aus eingeschmolzenen Manillen – Armreifen, die im Sklavenhandel als Währung dienten. Der portugiesische König Johann III. setzte 1522 den Preis eines Sklaven bei 40 Manillen fest.

1548 orderte er bei den Augsburger Fuggern 1,4 Millionen Manillen. Diese hatten die Schürfrechte einer Mine bei Aachen – aus der die Erze für die Bronzen stammen.

Ein Blick in die Ausstellung im Lenbachhaus.
Ein Blick in die Ausstellung im Lenbachhaus. © Lenbachhaus

Die Fugger machten als Europas Großkapitalisten der frühen Neuzeit im transatlantischen Dreieckshandel lukrative Geschäfte. Zu sehen sind in der Ausstellung schematische Computerzeichnungen einzelner Szenen. Erst das Begleitheft gibt Aufschluss über die Hintergründe.

Manchmal scheint die Wirklichkeit zu bizarr, um wahr zu sein

Die Künstlerin als Vermittlerin von Informationen – die Kunst ist ihr Teaser. So auch die 34 Audio-Stationen mit Klang-Dokumenten in "Leopard"-Bezug: Annalena Baerbocks eher unlustige Karnevalsrede mit Leopardenwitz bei der Aachener Verleihung des "Ordens wider den tierischen Ernst". Oder der "Imperial March" aus "Star Wars", zu dem das Panzermodell 2A7+ heuer in einer bayerischen Kaserne präsentiert wurde.

Manchmal scheint die Wirklichkeit zu bizarr, um wahr zu sein. Aber es ertönt auch Therese Giehse, die 1933 im Münchner Kabarett Pfeffermühle ein Lied Erika Manns sang: "Und gibt es Krieg, dann muss es ihn halt geben/ Wozu denn sonst das Militär im Land/ Die Industrie will schließlich weiterleben."

Bis 8. Oktober, Lenbachhaus, Mi bis So 10 bis 18, Di bis 20 Uhr

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