"Kunst & Antiquitäten" im Haus der Kunst: Berauschende Vielfalt

Wenn man Roderich Pachmann in einem günstigen Moment erwischt, holt er seine sündteure Speziallampe aus der Jacke. Die braucht es tatsächlich, denn an seinem Stand hängt eine unfassbar fitzelige Mikroschnitzerei. Ein Märchenwald aus Pappelholz tut sich auf, und unter bald jedem Blättchen sitzt ein Drache, eine Spinne, irgendein geheimnisvolles Wesen. Das alles flirrt um eine klitzekleine Jagdszene herum - aber kam es Antonio Bonini darauf eigentlich an?
Dieses um 1700 in der Emilia Romagna entstandene "Wimmelbild" gehört zu den besonderen Raritäten der "Kunst & Antiquitäten", die heute im Haus der Kunst beginnt. An bewährter Stelle, möchte man fast sagen, dabei ist die Messe nach vielen Jahren am Nockherberg und zwei Zwischenstopps erst 2019 an die Prinzregentenstraße gezogen.
Recycling der attraktiven Art
Doch es passt, die Wege sind für Münchner Kunstinteressierte kurz, und die 40 Händler aus Deutschland und Österreich sorgen in den an sich eher kühlen Räumlichkeiten für eine angenehme Atmosphäre. Ortrud Müller-Heffter zum Beispiel mischt Boxen mit exakt aufgereihten Tulpenblättern zwischen ihre Schmuckentwürfe, in die sie antike Gemmen, Münzen oder Glasperlen integriert. Das ist Recycling der attraktiven Art.
Und da wir schon bei den aufgepiksten "Kleinteilen" sind: Brigitte Martini hat einen Kabinettschrank ausschließlich für Insektensammlungen dabei - gefüllt. Man muss sich also weder auf Pirsch begeben noch moralische Überlegungen anstellen. Das ist um 1870 bereits in England erledigt worden. Überhaupt sind auf der Messe erstaunlich viele Kabinettschränke mit schier endlos vielen Fächern und Schubladen ausgestellt. Genauso ist im bombastischen Stollensekretär des Bamberger Kunstschreiners Servatius Brickard - präsentiert von Jürgen Meisinger - einiges unterzubringen.
Man sollte nur ein bisschen Platz haben. Dann macht sich auch die über drei Meter hohe englische Standuhr aus dem späten 18. Jahrhundert ganz gut, die Heinz Grundner aus seinem Geschäft in Nymphenburg mitgebracht hat. Oder eine massive Renaissance-Anrichte aus Nussholz bei Christian Steeb. Die hatte der Münchner Bildhauer Adolf von Hildebrand um 1880 für seinen Wohnsitz in Florenz angeschafft. Man residierte übrigens im aufgelassenen Kloster San Francesco.
Aber das ist das Schöne an solchen Messen: Zu bald jedem Objekt gibt es eine Geschichte, oft sogar eine spannende, die man im Gespräch erfährt. Auch das sind Begleiterscheinungen der deutlich intensivierten Provenienz-Recherchen, ohne die keine seriöse Kunst- und Antiquitätenhandlung auskommt.
Winzigkeiten von Fürstenhöfen
Es geht natürlich auch ganz klein: Birbaumer & Eberhardt vom Timmendorfer Strand haben Winzigkeiten von Fürstenhöfen mitgebracht, wie man sie sonst etwa im Dresdner Grünen Gewölbe finden kann. Darunter ein Figürchen, dessen Bauch aus einer Perle besteht. Und wer nach einer Kreuzigungsgruppe für die Damenhandtasche sucht, wird bei Herold Neupert von der Schellingstraße verblüfft sein.
Auch Nagel-Magier Günther Uecker ist vertreten: "Der schwarze Schwan Lohengrin" lautet der Titel eines klassischen Rundbilds, das er dem Bayreuther "Lohengrin"-Regisseur Götz Friedrich und dessen damaliger Ehefrau Ruth Maria Kubitschek gewidmet hat. Schillernd und düster zugleich - je nach Lichteinfall - und ein absoluter Hingucker am Stand der Sylter Galerie Rudolf, die außerdem einen tollen Jawlensky dabei hat. Das heißt: eine "Große Meditation" und ebenfalls mit rührender, sogar weihnachtlicher Geschichte, für die an dieser Stelle kein Platz mehr ist. Es gibt also genug Gründe, diese älteste Kunstmesse Süddeutschlands zu besuchen.
Kunst & Antiquitäten München, Prinzregentenstraße 1, bis 23. Oktober 2022 täglich von 11 bis 19 Uhr, am Lange-Nacht-Samstag bis 24 Uhr und am Mittwoch, 19. Oktober 2022, zur Diversity Night bis 21 Uhr