Kühler Kopf auf einem heißen Markt
Schon 60 Jahre gibt es Ketterer Kunst, am Samstag starten in Riem die Jubiläumsauktionen – und Rekorde sind nicht ausgeschlossen
Den Weg zum Büro säumen kleine Holzmännchen von Stephan Balkenhol. Und natürlich gibt’s auch rund um den perfekt aufgeräumten Schreibtisch jede Menge Kunst: von einer raren Reliefplastik Pierre Soulages (94) bis zum Alu-Seilknoten von Michael Sailstorfer (35). Und dann die Salzwasserschönheiten. Robert Ketterer blickt auf ein Aquarium – wahrscheinlich die beste Beruhigung nach einer Versteigerung. Morgen steigt hier in Riem die erste Jubiläumsauktion mit Alten Meistern und Kunst des 19. Jahrhunderts. Denn Ketterer Kunst wird in diesem Jahr 60.
AZ: Herr Ketterer, wäre aus Ihnen ein guter Rennfahrer geworden?
Ein Rennfahrer möglicherweise, ob ein guter, weiß ich nicht. Aber ich hatte das auch nicht ernsthaft vor. Mein Vater hätte das nie unterstützt.
Dafür haben Sie in der Kunstbranche einen Blitzstart hingelegt.
Ja, mit 19 war ich schon in der Firma. Damals dachte ich, das kannst du mal eine Zeit machen, aber nichts hält länger als ein Provisorium.
Ihr Vater ließ Sie schnell machen, mit 22 haben Sie Ihre erste Auktion geleitet.
Ich war oft Beisitzer bei ihm. Eines Tages fragte er beiläufig, ob ich nicht auch mal eine Auktion leiten wolle. Ja, sagte ich und dachte: irgendwann. Mein Vater hat mich kurz angekündigt, stand auf und ging.
Stress pur.
Ich erinnere mich auch nur noch daran, dass ich literweise Wasser getrunken habe. Ich hatte doch nie geübt! Aber irgendwie hat’s geklappt. Mein Vater hat sich dann auch 1994 von heute auf morgen verabschiedet, zog ins Landhaus und war nur noch Imker und Gärtner.
Nach all den Jahren können Sie ein Kunstwerk sicher schnell schätzen.
Natürlich muss ich die Preise im Kopf haben, wissen, was gerade auf dem Markt ist, was zu welchem Preis verkauft wurde – auch international.
Und der Blick für Qualität?
Kommt mit dem ständigen Umgang.
Wären Sie auf einen Beltracchi reingefallen?
Hinterher sagen alle, ihnen wäre das nicht passiert. Aber hätte ich nur das Objekt gesehen, hätte ich mich sicher auch schwer getan. Allerdings sehen wir nie das Werk allein, sondern auch den Hintergrund.
Konkret?
Wenn ein Gemälde Kirchners von einem Kunden eingeliefert wird, den wir seit 50 Jahren kennen, und genau wissen, woher seine Sammlung stammt, ist das nicht vergleichbar mit der Offerte eines unbekannten Neukunden. Das kann alles korrekt sein, aber wir müssen dann sehr genau prüfen.
Die berühmte „Sammlung Jägers“ im Fall Beltracchi...
... hätte mich in jedem Fall interessiert. Eine unbekannte Sammlung ist immer hochspannend. Wenn so ein Schatz ins Haus kommt, wird man allerdings stutzig. Das passiert heute nicht mehr einfach so. Dass die Akquise leicht gemacht wird, ist nicht üblich.
Entlarven Sie häufig Fälschungen?
Immer wieder.
Und was passiert damit?
Die werden sofort der Polizei übergeben.
Durch den Fall Gurlitt steht der Umgang mit Raubkunst wieder im Fokus. Wie stemmen Sie die Provenienzforschung mit Ihrem Team von – wie vielen – Mitarbeitern?
50. Diese Forschung ist immens wichtig. Die rechtliche Seite ist oft klar, die moralische nicht. Wir haben weltweit ein Netz von etwa 1000 Experten. Jedes Objekt, das nicht zu 100 Prozent eindeutig ist, geht an Experten. Und man hat ja auch einen „gewissen Riecher“. Künstler wie Max Liebermann wurden häufig jüdischen Sammlern weggenommen. Kürzlich hatten wir einen Fall von Raubkunst. Eines der letzten Selbstporträts von Otto Müller gehörte ursprünglich einem Sammler aus Breslau, dessen Familie völlig ausgelöscht wurde. In Israel konnten wir entfernte Verwandte ausfindig machen.
Und es gibt einen finanziellen Ausgleich?
Wir beteiligen sie fair am Erlös, nicht auf einer rechtlichen, aber auf einer moralischen Basis. Eigentlich wäre der deutsche Staat gefordert und nicht der letzte Besitzer, der in diesem Fall der Gelackmeierte ist.
Hat denn der Kunsthandel überhaupt die Zeit, immer genau zu recherchieren?
Da sind oft Nachtschichten nötig. Wenn etwas bis zur Drucklegung des Katalogs nicht geklärt ist, wird das vermerkt und weitergeforscht. Wenn es bis zur Auktion nicht geklärt werden kann, versteigern wir unter Vorbehalt.
Apropos Versteigerungen: Max Pechstein ist ein Erfolgssymbol für Ketterer. Das Bild „Weib mit Inder“ brachte 3,5 Millionen Euro ein. Womit machen Sie den Umsatz?
80 Prozent mit der Kunst des 20. Jahrhunderts, davon die eine Hälfte Expressionismus, die andere Nachkriegskunst.
Und was zieht?
Die großen Namen. Aber nicht nur. Es gibt immer wieder Qualitätsarbeiten, deren Preis dann doch überrascht.
Setzen heutige Käufer nicht allzu sehr aufs Etablierte?
Auch früher hat man große Namen gekauft. Heute kommt dazu, dass sehr viel Geld vorhanden ist, das angelegt werden will. Deshalb schnellen die Preise so in die Höhe.
Sie sind vor fünf Jahren aus der Stadt nach Riem gezogen. War das nicht riskant?
Nein, vielleicht war ich blauäugig. Aber mir war klar, dass der Kunstmarkt internationaler wird, dass nicht mehr so viele selbst zur Auktion kommen. Auch bei Sotheby’s und Christie’s sitzen oft nur zehn Leute im Raum, alles andere läuft übers Telefon. Das hat sich bei uns allerdings nicht bewahrheitet. Unsere Auktionen sind voller denn je.
Sie haben eine Menge Platz.
3500 Quadratmeter an der Maximilianstraße hätten mich vermutlich mehr gekostet, als ich verdiene. Heute können Sie von jedem Punkt der Welt aus mitbieten, aber das Objekt nicht anschauen. Hier können wir alles wunderbar präsentieren. Und haben Parkplätze.
Wie positionieren Sie sich neben den großen Häusern?
Christie’s und Sotheby’s sind mit 6,5 Milliarden Umsatz jenseits von Gut und Böse. Aber das ist alles sehr heikel. Denn Geld verdient keiner. Sotheby’s hat letztes Jahr gerade mal 100 Millionen verdient. Wäre der Kunstmarkt nur ein bisschen schwächer gewesen, wär’s ein Riesenverlust geworden.
Haben die Großen so wahnsinnige Kosten?
Zum Einen. Zum Anderen müssen sie irrsinnig hohe Garantien geben, um Top-Objekte zu bekommen. Werden die Garantiepreise nicht erreicht, kann die Sache schnell ins Minus laufen. Aktuell überbieten sich diese Häuser gegenseitig mit Garantien. Der Markt darf also nicht stagnieren. Insofern ist das Mittelsegment zwischen 5000 und 500.000 Euro sehr komfortabel für uns.
Was sind denn die Highlights der Jubiläumsauktion?
Wir sind bei den Expressionisten besonders stark, auch bei der Nachkriegskunst mit den großen Zero-Künstlern wie Mack, Piene und Uecker. Die Zeitgenössische Kunst, die seit Dezember mit einem eigenen Katalog vertreten ist, glänzt z.B. mit Werken von Daniel Richter, Maurizio Cattelan oder Erwin Wurm.
Wo sind die großen Gewinne zu erwarten?
Wir haben einen Pechstein von 1910 im Angebot, ein doppelseitiges Gemälde, das ist für 600 000 Euro ein Schnäppchen. Eine ähnliche Arbeit wie die unseres Rekords. Oder ein Mobile von Calder, wie man es gerade mal in den Abendauktionen bei Sotheby’s in New York sieht.
Riecht nach neuem Rekord.
Die Voraussetzungen dafür sind da.
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