Kritiker ohne Gegenwind

Heute abend liest Hans Peter Riegel aus seiner Beuys-Biografie, doch kein Experte will mit ihm öffentlich streiten
von  RBR

Dass er nicht nach einem Stuka-Absturz auf der Krim von den Tataren in Filz gewickelt wurde, hat sich schon länger herumgesprochen. In seiner Biografie der deutschen Kunstikone Joseph Beuys demontiert Hans Peter Riegel weitere Legenden: Der Künstler war ohne regulären Schulabschluss. Er hatte daher nicht, wie er immer behauptete, Naturwissenschaften studiert. Dafür aber – wovon er nie sprach – verpflichtete er sich für zwölf Jahre bei Hitlers Wehrmacht.

Und es kommt schlimmer: Riegel belegt in seinem 600 Seiten starken Buch, wie sehr Beuys mit den totalitären und völkischen Tendenzen der Anthroposophie Rudolf Steiners sympathisierte. Außerdem hat sich der Linke und „Ur-Grüne“ Beuys mit kunstsammelnden Altnazis und einem ehemaligen SS-Mann als langjährigem Büroleiter umgeben.

Darüber müsste, so dachte sich Reinhard Wittmann vom Münchner Literaturhaus, doch auf einem Podium trefflich streiten lassen. Denn in der Pinakothek der Moderne und in der Graphischen Sammlung befinden sich wichtige Werke des Künstlers. Und die Beuys-Sammlung des städtischen Lenbachhauses wurde zuletzt durch eine großzügige Schenkung des Sammlers Lothar Schirmer beträchtlich erweitert.

Leider aber holte sich Wittmann nur Absagen. Keiner der hiesigen Kuratoren, Museumsexperten, Sammler und sonstigen Kenner in dieser Stadt hatte Zeit oder gar Lust, sich dem Beuys-Ketzer vor Publikum zu stellen – frei nach dem Karl-Valentin-Motto „Nicht einmal ignorieren“, bis sich das Thema irgendwann totläuft.

„Es ist eben nicht angenehm, eigene Fehlurteile erkennen zu müssen“, meint Riegel zur Verweigerungshaltung der hiesigen Beuys-Gemeinde. Er wird daher heute abend aus seinem Buch lesen und auch einige der ihm zugeschickten Pöbeleien zitieren. „Und ich werde über die Frage sprechen, warum die Figur Beuys noch heute einen solchen Fanatismus auslöst“, verspricht der Schweizer Autor und ehemalige Sekretär des Malers Jörg Immendorff.

Im Anschluss darf das Publikum die Rolle der kneifenden Experten übernehmen und kritische Fragen stellen. Bei einer ähnlichen Veranstaltung in Düsseldorf ging es ziemlich hoch her – aber Riegel hatte auch sehr gute Argumente für seine Position.

Literaturhaus, heute, Dienstag, 20 Uhr. Eintritt 9 Euro. Hans Peter Riegel: „Beuys. Die Biographie“ Aufbau Verlag, 595 S., 28 Euro

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