Kleinste Details: Venezianische Kunst in der Pinakothek der Moderne

In der Pinakothek der Moderne sind venezianische Zeichnungen und Druckgrafiken aus vier Jahrhunderten zu sehen. Künstlerische Einblicke in Geschichte und Alltag der Lagunenstadt.
von  Christa Sigg
Il Pozzoserrato hat diese Gondelszene um 1600 in einem Aquarell wiedergegeben. Um das Paar zu sehen, musste man einst ein Deckblatt hochklappen.
Il Pozzoserrato hat diese Gondelszene um 1600 in einem Aquarell wiedergegeben. Um das Paar zu sehen, musste man einst ein Deckblatt hochklappen. © Staatliche Gemäldesammlungen // Grafische Sammlung

München - Die Nummer ist zirkusreif. So lässig posiert Gottvater auf seiner Weltkugel, dass man in Gedanken gleich einen Trommelwirbel hört. Und dann balanciert der Allmächtige auch noch mit ausgebreiteten Armen, als wollte er in die Manege rollen. Fast. Bei näherer Betrachtung ist der artistische Spaß eher ungefährlich: Die Evangelisten Johannes und Markus halten den Globus so mühelos, als sei's ein Gymnastikball.

Ausstellung "La Serenissima": Schwebendes Venedig in der Pinakothek 

Was für eine Leichtigkeit, noch dazu bei diesem Thema. Und natürlich stellt sich unwillkürlich die Frage, ob das nicht auch mit Venedig zu tun hat, wo ja doch alles ein bisschen schwebender ist als auf dem Festland und sich proseccogleich schnell in Dunst auflöst. Denn die beschriebene Szene ist auf einer Zeichnung Antonio Vassilacchis festgehalten und zählt zu den delikaten Höhepunkten der Ausstellung "La Serenissima" in der Pinakothek der Moderne.

Zeichnungen und Druckgrafik aus vier Jahrhunderten sind hier versammelt, ausgesucht vom Italien-Spezialisten der Graphischen Sammlung, Kurt Zeitler, der bekannt dafür ist, Rares und gerne auch Kurioses aus den hauseigenen Konvoluten zu fischen. Über die Qualität muss man sich sowieso keine Gedanken machen, die liegt in Hülle und Fülle in den staatlichen Schubladen. Und selbst die zweite Garde kann in dieser wild zusammengepuzzelten Runde locker mithalten - und sei es durch einen tänzelnden Weltenlenker.

Höchster Genuss: Vassilacchis Federzeichnungen und Figuren

Vassilacchis lavierte Federzeichnung von 1592 ist freilich um einiges lockerer als das Ergebnis, das den Hauptaltar von San Giorgio Maggiore ziert. Genauso haben die Evangelisten dort sichtbar schwer zu schuften. Denn nach dem Entwurf des Veronese-Schülers wurde vom Bildhauer Girolamo Campagna eine Bronzegruppe gestaltet. Wenn man das weiß, erscheint auch die plastische, durchaus raumgreifende Anlage von Vassilacchis Figuren plausibel. Und um noch weiter in die Dreidimensionalität vorzudringen, hat der griechischstämmige Künstler sein Personal aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt.

Sehr viel bekannter ist Vassilacchis Landsmann El Greco, von dem zwei Schritte weiter etwas ganz Singuläres hängt. Allein wegen der Muskelpakete käme man nie auf "den Griechen", sondern eher auf einen an Tizian geschulten Anhänger Michelangelos. El Greco bezieht sich in dieser einzigen, aus seiner Venedig-Zeit gesicherten Arbeit auf Papier dezidiert auf den "Giorno" aus der Medici-Kapelle. Der gelernte Ikonenmaler war zwar noch nicht lange in Italien, dass man mit Zeichnungen und Grafik fabelhaft für sich werben konnte, dürfte er aber bald begriffen haben. Wollte El Greco dem einflussreichen Kunstrichter Vasari, für den Michelangelo das Nonplusultra war, damit schmeicheln? Und ihm gleich noch ein vielsagendes Statement unterjubeln?

Künstlerische Konflikte und feinste Details 

Denn genau genommen ist das um 1570 entstandene Blatt auch eine Antwort auf den Vorwurf der Florentiner, die Venezianer würden die Zeichnung vernachlässigen. Was ja nicht stimmt. An der Lagune hatte man einfach eine andere Auffassung von der Linie, der Kontur, der Abgrenzung vom Hintergrund, man sah das Wasser flirren, den Dunst aufsteigen - und war vielleicht auch nicht dauernd am Griffelspitzen…

Sowieso war die Farbe dabei, sich neben dem Disegno mehr und mehr Bedeutung zu verschaffen. Das alte Künstlerscharmützel, der Paragone, kann also selbst in dieser Schau nicht außen vor bleiben. Aber wie jener Streit spielt sich in der Grafik vieles in feinsten Details ab, für die man etwas Zeit und Erklärungen braucht. Etwa aus dem großartigen, geschmackvoll gestalteten Katalog.

Geschichte gezeichnet in Kupferstichen

Dass ein Astrologe auf Giulio Campagnolas Kupferstich von 1509 mit dem Zirkel Berechnungen auf einer Himmelsscheibe anstellt und furchtlos neben einem Ungeheuer sitzt, ist dann auch nicht mehr verwunderlich. Zwar hatten die Truppen der Venezianer in der Schlacht von Agnadello eine verheerende Niederlage erlitten und wichtige Städte verloren. Doch die siegreichen Armeen der gemeinsam agierenden Trias Frankreich, Habsburg und Sizilien - verkörpert durch den Lindwurm - erwiesen sich als völlig desolat und chaotisch.

Der Astrologe liest das längst aus den Sternen, die für die Lagunenstadt gut stehen. Deshalb empfiehlt dieses schöne, zarte Blatt nichts weniger als Gelassenheit, selbst wenn die Gefahr bereits ihr spitzes Maul aufreißt. Genau solche aus heutiger Sicht rätselhaften Bilder demonstrieren, dass die Druckgrafik oft genug etwas für Connaisseure war, die sich in ihre Kabinette zurückzogen, um die Blätter ausgiebig zu studieren. Und denen sicher auch aufgefallen ist, dass dem experimentierfreudigen Campagnola eine ziemlich schräge venezianisch-fränkische Kombination gelungen ist: Sein von Zeus begehrter Jüngling Ganymed erlebt kein gewaltvolles Kidnapping - bei Rembrandt wird er sich später vor lauter Angst bepinkeln -, sondern er reitet auf dem "göttlichen" Adlerverschnitt über eine Landschaft, die deutlich von einem Kupferstich Dürers inspiriert ist.

Postkartenmotive aus dem venezianischen Alltag

Neben diesen vielschichtigen Köstlichkeiten sind selbstredend auch Postkartenmotive zu finden. Das heißt, klassische Veduten, etwa vom Spezialisten Canaletto, und herrliche Typen aus dem venezianischen Alltag: vom exaltierten Kaffeetrinker mit Gebäckzange bis zum schmerbäuchigen Tandler und vom nicht ganz glücklichen Pflasterer bis zur Dame mit Angel, die eigentlich auf Männerfang ist.

Was in dieser Serenissima aus Papier keineswegs fehlen darf, ist eine Gondola. Hier hat sie sogar ein Verdeck. Unter dem sitzt ein Liebespaar beim Tête-à-Tête, begleitet von einem Musiker, der nur Augen für sein Clavichord hat. Alles andere sehen die Betrachter, die für den gewissen Kick einst ein Deckblatt heben mussten und solche kunstvollen Souvenirs gerne mit nach Hause gebracht haben. Schon, um ihre mehr oder weniger amourösen Abenteuer in Venedig anzudeuten. 


"Venedig. La Serenissima" bis 8. Mai in der Pinakothek der Moderne, Katalog (Deutscher Kunstverlag, 352 Seiten, 62 Euro)

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