KI-Künstler bespielt Nordwand der Pinakothek der Moderne: Bunt wabernde Farbwelten
München - Wer sich noch nie getraut hat, aber schon immer mal wissen wollte, welche wabernden Farborgien ein LSD-Trip bei manchen Konsumenten im Hirn nach sich zieht, sollte sich unbedingt die digitale Datenskulptur von Refik Anadol an der Nordseite der Pinakothek der Moderne anschauen. Denn genau an diese psychedelischen Räusche erinnert sie. Jedenfalls wenn man den Erlebnis-Beschreibungen des Schweizer Chemikers und LSD-Entdeckers Albert Hofmann glaubt.
Dieser beschrieb seinen Zustand nach einer zufällig im Labor konsumierten LSD-Probe in den dreißiger Jahren mit "einer merkwürdigen Unruhe, einem Schwindelgefühl", das sich zuhause in "eine äußerst angeregte Fantasie" wandelte. "Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel." Schloss er die Augen, so bestaunte er ein visuelles Spektakel: "Kaleidoskopartig sich verändernd, drangen bunte, phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluß."
Festplatte statt Chemie-Labor
Genauso kann man auch die digitale, vom Freundeskreis zum 20-jährigen Jubiläum der Pinakothek der Moderne finanzierte Datenskulptur Anadols beschreiben. Bloß stammen die Substanzen für die Kunst des türkisch-amerikanischen, 1985 in Istanbul geborenen Künstlers nicht aus dem Chemie-Labor, sondern direkt aus den Festplatten jenes Hauses, auf das er seine psychedelisch anmutenden Farbwolken projiziert. Körperliche Schädigungen sind freilich auch nicht zu erwarten.
Anadol und sein Team ließen sich aus den digitalen Archiven aller vier Museen der Pinakothek der Moderne umfangreiche Bild- und Sounddatensätze liefern, die sie mit öffentlich zugänglichen Datensätzen zu den Themen ergänzten. Außerdem flossen seine eigenen Fotografien, die er zu Beginn seiner steilen Künstlerkarriere auf einer Reise nach München und speziell von der Pinakothek der Moderne anfertigte, in den Datenpool seiner neuen Arbeit ein.
Zufälliger Rhythmus erzeugt ständig neue Anordnungen
Mit künstlicher Intelligenz werden die zur Unkenntlichkeit manipulierten Daten bearbeitet und neu sortiert. Maschinelle Lernalgorithmen übernehmen das Kommando und sorgen für dreidimensional erscheinende Räume. Zufälliger Rhythmus erzeugt ständig neue Anordnungen, Farbkonstellationen und Muster. Abstrakte Bilder aus sich bewegenden Linien, Flächen, Wellen oder Strudeln lösen in ihrer Dynamik die Wand scheinbar auf.
Anadol, der für seine Schöpfungen die innovativsten KI-Methoden für Künstler einsetzt, möchte die Besucher in einen Zustand der "Immersion", des Versinkens, versetzen. So sollen die Grenzen der Betrachtung überschritten und das Bewusstsein erweitert werden. Gegensätze von Fläche und Raum, Realität und Fiktion, Physis und Virtualität lösen sich auf. Ganz ohne LSD oder sonstige Drogen.
Bis 27. November, ständig zugänglich, von außen sichtbar, aber gut leuchtend nur bei Dunkelheit
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