Karen Pontoppidan ist neue Präsidentin der Kunstakademie: "Vielfalt ist unsere größte Qualität"
Während man Malerei und Bildhauerei mit dem Fußball vergleichen könne, sei der künstlerische Schmuck doch eher wie Synchronschwimmen, hat Karen Pontoppidan kürzlich gesagt. Natürlich mit einem Augenzwinkern, aber die dänische Künstlerin hat Humor. Und vielleicht ist das die beste Voraussetzung, um 214 Jahre nach ihrer Gründung als erste Frau die Münchner Kunstakademie zu leiten.
AZ: Frau Pontoppidan, Sie sind auf einem Bauernhof aufgewachsen. Was lernt man da?
KAREN PONTOPPIDAN: Man weiß um die Herkunft der Dinge, man versteht, was Material ist. Auch gerade als Künstlerin zu sehen, wie etwas geerntet, wie geschlachtet wird, hat etwas sehr Ursprüngliches. Das Zweite habe ich erst viel später verstanden: Es gibt keine Arbeitszeiten, was ansteht, muss gemacht werden.
"Man darf das Leben auf dem Bauernhof nicht romantisieren"
Vor allem während der Ernte?
Oh ja, man steht früher auf und geht später ins Bett, tagelang. Man fährt auch nicht einfach weg, wenn die Tiere gefüttert werden müssen. Mein Vater hat zum Beispiel im Stall übernachtet, wenn es bei einer Kuh Probleme beim Kalben gab. Das hätte auch jemand anderes übernehmen können, aber meinem Vater war das immer besonders wichtig. Und diese Einstellung zur Arbeit beruht auf Leidenschaft, das hat viel mit Kunstmachen zu tun. Ich wollte das als Jugendliche nicht wahrhaben und fand das alles schrecklich. Natürlich bin ich auch sofort Vegetarierin geworden.
Und jetzt?
Das hat sich beim Studium in München schnell gelegt. Aber diese Protesthaltung war für mich damals sehr wichtig. Heute stehen die Qualitäten, die ich mitgenommen habe, sogar eher im Vordergrund. Man darf das Leben auf dem Bauernhof trotzdem nicht romantisieren. Mein Vater hat immer gut für die Tiere gesorgt, aber wenn eins krank war, wurde es geschlachtet oder eingeschläfert. Das ist eine ganz grundlegende Haltung: Man tut alles, damit es gut geht, aber man trägt auch die Verantwortung, wenn es nicht gut geht.
Mussten Sie kämpfen, um Künstlerin zu werden?
Bei den Frauen meiner Familie war das Handarbeiten sehr angesagt. Ich hatte eine Begabung dafür, eine "künstlerische Ader", das wurde durchaus anerkannt. Aber Künstlerin als Beruf - da hätte ich auch zum Zirkus gehen können. Meine Eltern hatten keine Vorstellung, was das heißt. Den ersten Konflikt gab es dann, weil ich kein Abitur machen wollte. Das empfand ich als Zeitverschwendung, denn ich wollte ja Kunst machen. Es gab Zeiten, da war das nicht einfach, mittlerweile haben wir aber ein sehr gutes Verhältnis.
"Ein gewisser Widerstand ist ganz gesund"
Entwickelt man besondere Kräfte, wenn man sich durchsetzen muss?
Ein gewisser Widerstand ist ganz gesund. Und ich durfte ja alles für mich entdecken, das stärkt auch das Selbstwertgefühl, denn man ist einen langen Weg gegangen und hat etwas für sich selber erreicht.
Als erste Präsidentin der Münchner Kunstakademie ist das eine ganze Menge. Sie haben hier bereits studiert, kennen das Haus auch als Professorin. Ist das eher ein Vor- oder Nachteil?
Beides. Die Akademie hat ein sehr offenes System, man kann ganz individuell arbeiten und hat unglaublich viele Möglichkeiten: in den gut ausgestatteten Werkstätten, in völlig unterschiedlichen Klassen und mit ganz verschiedenen Vorstellungen. Von dieser Vielfalt lebt die Akademie, sie ist unsere größte Qualität. Ist man ganz neu, kann es ein schwieriger Prozess sein, bis man versteht, wie das Haus funktioniert. Von daher ist es ein Vorteil, dass ich mit der Akademie sehr vertraut bin. Auf der anderen Seite nimmt man Gewohnheiten vielleicht gar nicht mehr wahr. Für mich ist das ein Grund, die Dinge und mich selbst immer wieder zu hinterfragen. Als Studentin, als Professorin und jetzt auch als Präsidentin.
Was sollte sich denn ändern?
Die Gesellschaft hat sich in den letzten zehn Jahren stark gewandelt, und jetzt durch zwei Jahre Corona gab es eine Unterbrechung in der Auseinandersetzung damit. Auch in der Akademie. Wir haben eine engagierte Frauenbeauftragte, möglicherweise fehlt uns noch eine tiefergehende Diskussion über Rassismus. Und wir müssen Systeme entwickeln, um besser zu kommunizieren. Man trifft sich nicht mehr ungezwungen, außerdem haben wir inzwischen sehr international agierende Professorinnen und Professoren. Den Austausch möchte ich intensivieren. Auch nach außen könnten wir ruhig selbstbewusster auftreten und unsere Qualitäten zeigen. Jetzt nach Corona müssen wir als Akademie wieder ein Wir entwickeln.
Pontoppidan ist Gegnerin des Bachelor-Master-Systems an der Kunstakademie
Schmuck ist für die meisten eine Nische, dabei hat die Schmuckklasse durch Karl Fritsch oder Otto Künzli ein großes internationales Renommee. Als Präsidentin können Sie das Fach noch weiter stärken.
Was die Malerei und die Bildhauerei betrifft, sind unsere Professorinnen und Professoren im Kulturbetrieb bekannt. Meinen Namen hat man vielleicht noch nicht so bewusst wahrgenommen, aber das wird sich jetzt ändern. Im Bereich Schmuck wurde meine Wahl zur Präsidentin jedenfalls sehr positiv aufgenommen, auch um sichtbarer zu werden. Entscheidend ist für mich aber, dass diese fantastische Schmuckklasse mit ihrer großen Tradition weiterhin gut betreut wird. Und da werde ich nun von einem Silberschmiede-Experten unterstützt.
Sie gelten als vehemente Gegnerin des Bachelor-Master-Systems an der Kunstakademie. Weshalb?
Tatsächlich hat sich die Akademie bisher erfolgreich dagegen wehren können - auch mit Hilfe des Ministeriums. Es gibt zwar eine neue Studienordnung und ein paar zusätzlich Pflichtkurse wie Kunstgeschichte, das geht aber völlig in Ordnung. Ich bin auch nicht wegen der Prüfungen gegen das Bachelor-Master-System, sondern weil dann nur noch Studierende aus der genormten Mitte der Gesellschaft aufgenommen werden können. Allein, wenn Sie mit der deutschen Sprache nicht klarkommen oder sie nicht gut beherrschen, haben Sie keine Chance. Momentan studiert hier ein sehr breites Spektrum an Menschen, die als Künstlerinnen und Künstler erfolgreiche Karrieren schaffen.
Sie haben hier quasi Diversität praktiziert, bevor das überhaupt Thema war?
Aber ja. Das hat auch immer gut funktioniert, und das einzuschränken, wäre ein großer Rückschritt.
"Ich trage so gut wie nie Schmuck"
Womit schmücken Sie sich eigentlich selbst?
Ich trage so gut wie nie Schmuck. Denn von wem soll ich Schmuck tragen? Von welchen Kollegen? Von welchen Studierenden? Das kann sehr schnell zu einem Politikum werden. Aber jetzt nehme ich eine neue Rolle ein, und als Präsidentin möchte ich die Schmuckklasse mit Schmuck vertreten.
Was könnten Sie problemlos tragen?
Ich habe die Studierenden gebeten, eine Kiste für mich zu machen und Stücke hineinzulegen.
Das wäre dann die Präsidentinnen-Kollektion?
So ist es! Die Studierenden leihen mir ihren Schmuck, und den trage ich bei allen öffentlichen Auftritten.
Was kommt Ihnen nicht um den Hals?
Mit dem Material hat das nichts zu tun. Schmuck soll etwas über meine individuelle Position im Verhältnis zur Gesellschaft oder zu den anderen erzählen. Wenn Schmuck das nicht trifft - und sei es zum Beispiel in politischer Hinsicht -, trage ich ihn nicht. Auch belangloser Schmuck kommt mir nicht um den Hals. Und wenn er zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das auch nicht gut als Präsidentin. Grundsätzlich muss die Aussage für mich passen.
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