Immer schön renitent
Klar, dass er auch zum Geburtstag ätzen muss. Über die deutschen Kunstzentren, um die es still geworden sei. Die knausrigen Museumsdirektoren, die sich nicht für deutsche Kunst interessierten. Und dass Günter Grass sich lieber mal an eine „Blechtrommel” setzen sollte, als Griechenland-Gedichte zu schreiben. Fürwahr, ein Schönredner war Georg Baselitz noch nie, das ist an seinem 75. Geburtstag, den er heute feiert, kaum anders, als in den wilden Sechzigern.
Mit der Fluppe posierte er gerne vor seinen Großformaten, damals noch geziert von lockigem Haar. Schon mit der allerersten Ausstellung, 1963 bei Werner & Katz in Berlin, provozierte er einen Skandal: Sein „Nackter Mann” mit Riesenpenis und „Die große Nacht im Eimer”, die einen onanierenden jungen Kerl zeigt, waren fürs prüde Nachkriegsdeutschland mehr als nur eine Spur zu heftig. Die Gemälde wurden beschlagnahmt, das Verfahren erst Monate später eingestellt. Wobei: Ein Eklat zur rechten Zeit kann die Karriere fein beflügeln. Zumal die Positionierung zwischen bravem DDR-Realismus – die Staatskünstler waren für ihn einfach nur Arschlöcher – und dem absolut angesagten abstrakten Expressionismus der Amerikaner schwierig war.
"Er will die Nummer eins sein"
Vergessen hat der im sächsischen Deutschbaselitz geborene Hans-Georg Kern das nicht, immer noch scheint er kämpfen zu müssen. Obwohl er sich’s längst bequem machen könnte in seiner geschmackvollen Villa am Ammersee, die ihm keine Geringeren als die Stararchitekten Herzog und de Meuron in eine Naturoase gebaut haben. Überall auf der Welt wird er hofiert, seine Bilder, die meistens auf dem Kopf stehen, und die groben, archaisch anmutenden Skulpturen erzielen Höchstsummen – was selbst den potenten Pinakotheksmäzenen im Herbst ein paar graue Haare beschert haben dürfte (da wurden zwei Arbeiten angekauft). Doch Baselitz, der zugibt, keine Ausdauer zu haben, kann kaum still sitzen. Entweder kauert er über mächtigen Leinwänden, die allein schon wegen des satten Farbauftrags am Boden liegen müssen. Oder er fuhrwerkt mit der Motorsäge an einem Holzblock – so ist es in Evelyn Schels aufschlussreicher Dokumentation zu sehen, die im April ins Kino kommt.
Baselitz’ Kopfsteher, die sogar Kunstbanausen ein Begriff sind, irritieren auch nach über vierzig Jahren. 1969 hat er erstmals eine Arbeit („Der Wald auf dem Kopf”) um 180 Grad gedreht. Zum Markenzeichen ist dieser Clou geworden, böse Zungen sprechen von einer Masche. Dabei wollte der Künstler den Dingen einfach nur ihre Bedeutung nehmen und die Malerei an sich in den Fokus stellen.
In den Remix-Serien setzt sich Baselitz seit einigen Jahren mit dem eigenen Werk auseinander, wiederholt es in helleren Farben, aquarellhaft, leicht. Manches steht auch wieder bequem auf dem Boden. Er höre halt nicht auf, innovativ zu sein, schwärmt Daniel Blau, einer der beiden Galeristensöhne. Und Für 75 ist der Dickschädel, der wegen „gesellschaftlicher Unreife” von der Ostberliner Akademie fiel, eh erstaunlich vital. „Er will die Nummer eins sein”, erklärt Elke, mit der er seit 50 Jahren verheiratet ist. Dieser Drang hält einen oben.