Immer schön einfach
Schwarz und Weiß, Punkte und Streifen – aufs Wesentliche konzentriert sich Billa Reitzner bei ihrem außergewöhnlichen Porzellan. Doch der Rhythmus macht die Musik. Ein Werkstattbesuch.
MÜNCHEN - Eher triste Häuser säumen die Zugspitzstraße in Obergiesing. Kein Ambiente für Szenegänger oder Lifestyle-Apostel, vielmehr eine Gegend für Leute, die’s gerne ruhiger bevorzugen, fern vom Schwabinger Trallala. Und wer den Hinterhof der Nummer 14 quert, weiß eh, was er will, die Fassade zur Straße hin verrät so gar nichts von den geschmackvollen Objekten, die man hinten in der Werkstatt findet.
Vielleicht sollte man eher von einem Ladenatelier sprechen. Wie in einer Galerie sind Teller und Tassen, Schalen und Kannen in Szene gesetzt. Auf den Millimeter genau, möchte man meinen. Und entgegen der üblichen Porzellan-Vorstellungen, die von blütenweiß bis zu allerlei freundlich-heiteren Farben reichen, steht hier viel in Schwarz oder in der edel-klassischen Kombination aus Schwarz und Weiß. Billa Reitzner (51) liebt es schlicht, außer geometrischen Formen kommt ihr nichts aufs Geschirr. „Früher haben Streifen dominiert, dann kam irgendwann der Punkt dazu“, sagt sie. Das reicht dann auch, allein daraus ergeben sich unendliche Spielarten. Der Reiz liegt in der Einfachheit der Strukturen, ihrem Rhythmus.
Wichtig für die Keramikerin ist aber erst einmal die Form. Und dafür, dass alles mit der Hand gearbeitet ist, kommt einem das Ergebnis erstaunlich dünn, ja transparent vor. Das Licht scheint durch die weißen Tassen, wie man das von Bone China-Porzellan kennt. Eine Spezialität von Billa Reitzner. Wie das geht? Man braucht ein gutes Augenmaß, das richtige Gefühl in den Fingern. Und viel Erfahrung.
Natürlich wird die Porzellanmasse – sie kommt aus England und trägt den schönen Namen „Royal“ – exakt abgewogen. Doch die Form muss man beim Drehen finden, erklärt Reitzner. Und: „Teller sind das Schwierigste“.
Zur Kontrolle ist hinter der Töpferscheibe ein Spiegel angebracht, aber selbst wenn das gute Stück noch so akkurat geformt ist, kann der Brennofen für Überraschungen sorgen. Bei den üblichen 1250 Grad verliert Porzellan zwischen zwölf und 14 Prozent an Volumen. Das ist eine Menge und gerade für die Perfektionistin oft genug eine Gratwanderung. Aber auch spannend. „Mir war immer klar, dass ich gutes Handwerk machen möchte – und zwar von A bis Z.“ Deshalb ist die Münchnerin, die an der Berufsfachschule für Keramik in Landshut gelernt hat, nie in die Industrie gegangen. Dort sei man allenfalls für Bruchteile ihrer Arbeit zuständig, also fürs Design, bestimmte Fertigungsschritte, für die Kolorierung, die Qualitätskontrolle... Dazu kommt, dass die hochgewachsene, grazile Frau mit den schmalen Musikerhänden auch wissen möchte, wo ihr Porzellan landet. „Die Kunden erzählen mir manchmal schöne Geschichten, auch von täglichen kleinen Ritualen“, sagt sie. Eine ältere Dame etwa fischt ihr Frühstücksei mit einem Reitzner- Löffel aus dem Wasser, nur so beginnt für sie ein glücklicher Tag. Eine andere serviert damit ihr Apfelmus – von den eigenen Äpfeln im Garten.
Früher hat die Porzellankünstlerin, die 2003 mit dem renommiertenDießener Keramikpreis (beim Töpfermarkt trifft man sie vom 9. bis 12. Mai) ausgezeichnet wurde, mit Galerien zusammen gearbeitet. Aber jemanden zu finden, der ihre Arbeit richtig vermittelt, sei ziemlich schwer. Ihre Kunden interessiert es, woher dieses besondere Geschirr kommt, wie es entsteht. In Zeiten von Massenware zu Dumpingpreisen ist das schon wieder ein eigener Wert. Und das Konzept funktioniert ja, seit 20 Jahren hat sie ihre Werkstatt und kann davon leben. Auch wenn die Erträge nicht übertrieben seien. Und sie leistet sich eben Perfektion. Eine Kanne, die tropft, eine Lampe, an der ein Porzellanplättchen zu dünn geraten ist, oder eine Schale, deren schwarze Streifen – Engobe heißt die Einfärbung im Fachjargon – nicht richtig sitzen, kämen ihr nie über den Ladentisch.
Nur in einem Fall sieht sie ab vom „Ideal“. Ihre Produkte glänzen nicht im kühlen Blauweiß frischen Schnees, so wie das über Jahrhunderte oberstes Ziel in der Porzellanherstellung war. Billa Reitzner bevorzugt einen warmen, fast cremefarbenen Ton. Auch das ist eine Entscheidung, die so klar ist wie ihr puristisch-elegantes Design.