Im Wohnzimmer der Deutschen
Die Architekturbiennale in Venedig läuft. Der Deutsche Pavillon spielt mit unserer Geschichte: Von der bayerischen Souveränität über 1938 bis zur neuen Demokratie
Ist wirklich Helmut Kohl da? Sein gepanzerter schwarzer Mercedes jedenfalls steht vor dem Pavillon im Biennale-Park. Es hätte ja sein können, dass er aus Heimweh nach Bonn in Venedig gelandet ist.
Denn hier haben die deutschen Kuratoren etwas Wunderbares geschaffen: Man tritt also durch den acht Meter hohen, kalt-neoklassizistischen Eingang, der nicht zufällig an das Münchner Haus der „Deutschen“ Kunst erinnert und landet unter drei Meter hohen, hellen Holzpanel-Decken im „Wohnzimmer der Nation“.
Der Düsseldorfer Alex Lehnerer und der Erlanger Savvas Ciriacidis haben in den historisch belasteten, deutschen Pavillon den Bonner Kanzlerbungalow von 1964 eingebaut – und als Accessoire noch die Kanzlerlimousine vorfahren lassen.
Bayerische Beziehungen
Was erst einmal wie eine verrückte Idee klingt, hat Hintersinn und erfüllt wunderbar die Vorgaben des Kurators der gesamten Architekturbiennale, Rem Koolhaas (siehe Kasten): „Absorbing Modernity 1914 – 2014“ hatte der Niederländer vorgegeben – „also die Frage, wie Länder den – oft auch schmerzlichen, nicht immer triumphalen – Prozess der Modernisierung architektonisch umgesetzt haben“, erklärt er.
Witzigerweise verbindet jetzt der deutschen Pavillon mit diesem Thema historisch auch noch München und Bayern. Denn das Gebäude stammt von 1909 und vertrat erst einmal Bayern mit seinem verrückten König Otto im Fürstenrieder Anstaltsschloss. Denn bis 1918 hatte Bayern im Kaiserreich noch Sonderrechte. Dann wurde für die Weimarer Republik umgebaut und 1938 NS-martialisiert.
Und nun die Jubiläumsfügung, die die Kuratoren inspirierte: Vor genau 50 Jahren befreit der deutsche Biennalekurator Eduard Trier das Gebäude vom NS-Druck, bricht Zwischenwand und Zwischendecke raus, schafft Luft. Und genau in diesem Jahr 1964 baut der Studienfreund des Soziale-Marktwirtschaftskanzlers Ludwig Erhard, der Münchner Architekt Sep Ruf, den Kanzlerbungalow für die Bonner Republik. Geraucht werden durfte damals natürlich noch, Zigarre zum Beispiel.
Und so gibt es für Besucher hier in Venedig als kleines Erinnerungspräsent am Ausgang ein Streichholzbriefchen, auf dem das Erhard-Zitat steht: „Sie lernen mich besser kennen, wenn Sie dieses Haus sehen, als etwa, wenn Sie mich eine politische Rede halten sehen.“
Brechungen
Zwei deutsche Repräsentationsgebäude sind hier in Venedig also ineinander geschoben, um etwas mit reiner Architektur deutlich zu machen: Wie wunderbar modern, bescheiden-elegant, durch die großen Glasaußenwände transparent, also demokratisch sich Deutschland darstellte, eingeschossig, geerdet in einen Park gesetzt. Im Vogeljakob-Stil imitieren auch zwei Performer hinter den anthrazitfarbenen Vorhängen Vogelstimmen. Fast könnte man die Lagune jetzt für den Rhein halten.
„Diese leichte Form der Moderne repräsentierte jetzt die Bundesrepublik nach außen, das ist doch wunderbar", sagt Savvas Ciriacidis: „Das bekamen von DDR-Repräsentanten bis Lady Di alle zu sehen und zu spüren.“ Wie modern das alles – nicht nur damals 1964 – war, kann man auch ermessen, wenn man an die Erhard-Villa in Gmund am Tegernsee denkt, die ebenfalls Sep Ruf dorthin gebaut hat und von den Einheimischen nie geliebt wurde.
Hell und offen
„Aber die Kanzlervilla war nicht nur ein demokratisches Versprechen nach außen, sondern auch an die Westdeutschen nach innen“, sagt Mitkurator Alex Lehnerer, nur dass die Bevölkerung den Ort nur aus dem Fernsehen kannte, fast wie ein TV-Studio.
Hier in Venedig sind alle Materialien echt, damit es nicht wie eine Kulisse wirkt: Ziegelstein, Stahlfensterrahmen, ein offener Kamin im offenen Atrium... Und wieder korrespondieren die Gebäude – Bungalow und Pavillon – in ihrer heutigen Gestalt: nach oben hell und offen.
Bis 23. November, Venedig: Giardini und Arsenale
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