Im Kunstkaufrausch
Das kann kein Zufall sein: Alljährlich, wenn millionenschwere Kunst die Basler Messehallen füllt, hat schräg gegenüber der Zirkus Knie seine Zelte aufgeschlagen. Hunderte Lämpchen leuchten, Jahrmarktsmusik scheppert aus dem brav umzäunten Gehege – hereinspaziert! Das Vergnügen kostet mit sechs Franken etwa so viel wie ein Espresso auf der Art, wie Insider den Superevent lässig nennen.
Und man fragt sich, ob der Zirkus nicht eine Art Langzeit-Performance eines, sagen wir, Schweizer Künstlerkollektivs ist, das der weltweit wichtigsten Kunstmesse mit ihrem unfassbaren Tamtam, ja dem Kunstzirkus überhaupt einen Spiegel vorhält. Doch das kratzt drüben keinen. Dabei geht’s in den Messehallen zu wie in einer Manege. Und Zirkusdirektor Marc Spiegler unternimmt alles, um sein Publikum bei Laune zu halten – Sensationen inbegriffen.
284 Galerien (800 haben sich beworben!) aus 33 Ländern präsentieren Gemälde, Skulpturen, Installationen, Videos und Fotografien von mehr als 4000 Künstlern. Das ist, mit Verlaub, in den vier Messetagen bis Sonntag nicht zu schaffen. Selbst in den längst hoffähig gewordenen Sneakers unterm noblen Zwirn.
Dass die Art-Basel-Ableger in Miami und Hongkong der Mutter-Messe den Rang ablaufen, wie dauernd geunkt wird, ist also vorerst nicht zu befürchten. Das Flair von good old Europe zieht immer noch mächtig an, zumal in diesem Jahr der historische Schwerpunkt der Messe, also Kunst aus der Zeit zwischen 1900 und 1970, wieder betont wird.
Die auf die klassische Moderne spezialisierten Galeristen haben jedenfalls tief in ihren Depots gekramt. Und also sieht man zu viele Picassos, dafür tolle Beckmanns, dann bei St. Etienne aus New York eine formidable Auswahl Schieles. Und am Stand der Münchner Galerie Thomas fällt eine ausnehmend schöne Arbeit Paul Klees („Fiordiligi“) ins Auge. Das gute Stück ist mit knapp vier Millionen Euro angesetzt. Dafür gibt‘s gleich gegenüber ein Bauernhaus von Gabriele Münter bereits für eine „mittlere sechsstellige“ Summe. „Die Käufer treten in diesem Jahr sehr beherzt auf“, erklärt eine Mitarbeiterin. Heißt: Sie fackeln nicht lange rum.
Vergleichbares hört man auch bei der Konkurrenz. „Das Geld ist ja nichts mehr wert“, klagt eine Leopardenprint-Blondine mit Prada-Täschli im Reich des Salzburger Supergaleristen Taddaeus Ropac. „Also muss es raus“, gibt sie ihrem Bussi-Bussi-Gegenüber mit auf den Weg. Bereits am ersten Messetag war hier fast alles verkauft: von Robert Rauschenberg bis Jean-Michel Basquiat, von Baselitz bis zu sozialkritischem Beuys.
„Kunst = Kapital“, liest man bei Beuys. Woher er das bloß hat?
Dessen Multiples sind bei Bernd Klüser ein echter Blickfang – und sehr viel adäquater präsentiert als in den üblichen Museumsglaskästen: Er hat für die Capri-Batterie, das Züglein mit roter Fahne oder der Schiefertafel „Kunst = Kapital“ seine Bücherschränke leergeräumt und mit nach Basel genommen. „Solo hätte ich die schon mehrfach verkaufen können“, amüsiert er sich. „Aber es läuft auch so ganz ordentlich“.
Trotzdem ist der Münchner überzeugt, dass in den nächsten Jahren ein Drittel der Galerien aufgeben muss. „Ein paar wenige an der Spitze verdienen richtig gut, ansonsten machen die Auktionshäuser das große Geschäft“, sagt er, während es sich Großsammler Udo Brandhorst bei ihm bequem macht.
Ein paar Meter weiter bei Van de Weghe aus New York erstarren mehrere Herren gleichzeitig vor Francis Bacons düsterem „Man in Blue“, während eine diskrete Minikleidträgerin am Tablet den Dollar-Preis samt Taxes kalkuliert. Klackernde Taschenrechner sind völlig out.
Bunter, frecher und zumindest nach außen hin unkonventioneller geht’s eine Etage höher zu. Doch man darf sich nicht täuschen lassen, auch die „jüngeren“ Positionen lassen die Kassen ordentlich klingeln. Das etwas beliebige Durcheinander der letzten Jahre hat erfreulicherweise mehr Struktur erhalten. Und Kontur: etwa durch so genannte „Statements“, das sind 16 meist überzeugende Einzelpositionen von Künstlern unter 30.
Raphael Hefti zum Beispiel setzt auf Schweizer Präzision: An einer sieben Tonnen schweren CNC-Fräsmaschine entstehen skulpturale Formen, allein die Bewegung der Metallteile hat etwas einnehmend Tänzerisches – und man denkt an Marcel Duchamp, der in einem Flugzeugpropeller das Beste überhaupt sah.
Und da wir schon bei den Superlativen sind: Die Show „Unlimited“ sprengt im Wortsinn sämtliche Galerie-Dimensionen und ist in diesem Jahr besonders gelungen. Kurator Gianni Jetzer bringt auf sagenhaften 17 000 Quadratmetern 74 Riesenwerke zusammen: etwa die zerstörten Museumsvitrinen des Franzosen Kader Attia unter dem sinnfälligen Titel „Arab Spring“ („Arabischer Frühling“) oder den aus der Wand wuchernden Wald von Pascal Marthine Tayou. Ai Weiwei hat 760 Fahrräder zu einer eher dekorativen Großskulptur gestapelt. Und Scherzkeks David Shrigley lässt die Besucher einen nackten, deppert blickenden Riesen-Boy zeichnen, der zwischendurch pinkelt.
Dazwischen lassen Seniormeister wie Lichtmagier Dan Flavin oder Emilio Vedova mit einer Gruppe von 109 Leinwänden in eigenen Großparzellen die Sinne rauschen. Doch das ist alles nichts gegen den rasant rotierenden Riesenwok von Julius von Bismarck. Der Künstler selbst sitzt, liegt, isst in diesem „Egocentric System“. Schon beim Zuschauen wird einem schwindelig, und damit ist die Drehschüssel eine wunderbare Metapher für einen um sich kreisenden, außer Kontrolle geratenen Kunstbetrieb. Oder einfach einen ganz großer Zirkus.