Idylle, Elend, Innovationen

Im Franz Marc Museum in Kochel sind „Bilder vor der Apokalypse“ – gemeint ist der Erste Weltkrieg – zu sehen
Robert Braunmüller / TV/Medien |
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Die Ausstellung zum Buch? Sie würde tatsächlich jeden Rahmen des Machbaren sprengen. Ein Highlight reiht sich ans nächste in Florian Illies’ Bestseller „1913“. Vom legendären „Schwarzen Quadrat Kasimir Malewitschs über diverse Picassos der kubistischen Phase bis zu Marcel Duchamps umkremplerischem allerersten Readymade, dem Radl auf dem Kopf. Auch im Franz Marc Museum in Kochel geht es just um das aufregende Jahr vor dem ersten Weltkrieg, gezeigt werden „Bilder vor der Apokalypse“ wie es im Titel heißt.

Doch die begegnen sich nicht gar so locker und (scheinbar) zufällig wie die Anekdoten und Ereignisse, die Befindlichkeiten und Einschätzungen der Künstler und Literaten, Politiker und Prominenten in Illies’ luftig-leichter Collage, die mittlerweile schon in der 10. Auflage auf dem Markt ist. Das Nebeneinander von völlig Unterschiedlichem muss im Kunstmuseum erwartungsgemäß anders ausfallen. Zumal sich Cathrin Klingsöhr-Leroy nicht verkneifen mag, ihre Schau Begriffspaaren unterzuordnen: „Stadt & Land“, „Apokalypse & Paradies“ oder „Pathos & Melancholie“. Und so treffen die erwartbaren Gegensätze und genauso die Entsprechungen aufeinander.

Auf der einen Seite sind das Franz Marcs Tiere oder August Mackes betörende Idyllen – „Vor dem Hutladen“ etwa und die „Große Promenade“. Auf der anderen Ernst Ludwig Kirchners grell-kantige Großstadtgeschöpfe wie die „Kokotten“, die sich den Freiern anbieten, oder die beiden „Frauen“, deren kreischendes Lippenrot aus dem Bild blinkt. Dann Ernst Heckels „Kranke im Bett“ mit ihren schweren Lidern über den düsteren Augen und dem totenbleichen Inkarnat. Oder Egon Schieles ganz in sich gekehrte „Stehende“, deren Hände überm Bauch verknotet sind.

Wir neigen dazu, die kommende Katastrophe aus vielen dieser Bilder herauslesen zu wollen oder zumindest Ahnungen, Andeutungen, Befürchtungen. Die Ausstellung wagt hier einen eher entspannten, realistischen Blick, so wie Illies in seinem Buch. Vieles ist eben doch ziemlich banal, man liest es ja im Bestseller, das Desaster meist sehr privater Natur – von Else Lasker-Schülers Liebeskummer nachdem Gottfried Benn sie hat sitzen lassen (ihr „Prinz Jussuf“ oder ihr „Schlangenanbeter“ dürfen in der Schau nicht fehlen) über Franz Kafkas völlig verkorkste Frau-fürs-Leben- „Suche“ via Brieforgien bis zum irren Hin und Her zwischen dem liebestollen Oskar Kokoschka und der männermordenden Alma Mahler.

Das lässt sich launiger schreiben als mit Bildern darstellen, keine Frage. Und wer allzu sehr an Illies klebt, wird enttäuscht sein – sollte sich zum Trost aber gleich in die Lounge begeben, in der Sentenzen und Fotografien aus dem Buch die Wände zieren. Lässt man sich allerdings durch die Räume treiben, um Angebote, Innovationen, Stile und unterschiedlichste Stimmungen aufzusaugen, wird man aus der Schau einiges mitnehmen und ein paar Vorurteile ad acta legen. Für die Mackes war der Sommer 1913 die „harmonischste und glücklichste Zeit“, die sie miteinander verlebt haben – der Künstler fällt schon im ersten Kriegsjahr. Und im Grunde sieht nur Ludwig Meitner die Katastrophe bevorstehen.

Ausstellung: „1913. Bilder vor der Apokalypse“, bis 19. Januar, Franz Marc Museum, Kochel, Di bis So von 10 bis 17 Uhr, Katalog (Sieveking Verlag) 29,80 Euro; Buch: Florian Illies: „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“, S. Fischer Verlag, 19,99 Euro

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