Hermann Nitsch im Interview

Mit seinem Prophentenbart sieht er aus wie eine Mischung aus Darwin und da Vinci. Die Umgebung tut ein Übriges. Hermann Nitsch residiert mit seiner herrlichen Korpulenz in der holzgetäfelten Bibliothek der Stuckvilla und lässt den Blick schweifen. „Ah, da schau her, der Oscar Wilde“. Und schon ist man bei Richard Strauss‘ „Salome“ und bald beim „Rosenkavalier“, bei Stefan George, Claude Debussy, Bruckner. Zwischendurch gesteht Nitsch, dass er schon mal einen „Schilcher“ trinkt, so wie der arme Franz Schubert. Sonst eher „an Weißen“.
AZ: Herr Nitsch, Filmstars wie Brigitte Bardot haben gegen Sie protestiert.
HERMANN NITSCH: „Monsieur Nitsch ist ein Barbar!“, hat sie gerufen!
Aus ihrem Mund klang das sicher wie Musik. Heute werden Sie wahrscheinlich eher von Veganern angefeindet.
Das Ganze ist ja ein grobes Missverständnis. Mein Leben lang habe ich Tiere sehr geliebt. Auf meinem Schloss leben 50 Pfauen, Hühner, ein Maultier, eine Ziege, sechs Katzen, ich hatte Gänse, Enten, viele Hunde. Und ich bin ein erbitterter Gegner der Massentierhaltung. Wenn mich die Tierschützer immer wieder angreifen, kann ich nur sagen, dass ich eigentlich einer der Ihren bin.
Aber da ist eben Ihre drastische Arbeit mit toten Tierkörpern.
Man weiß, dass sich Künstler mit Anatomie beschäftigt haben. Michelangelo und Leonardo da Vinci sind von der Inquisition verfolgt worden, weil sie Leichen seziert haben. Ich seziere nicht. Für mein Orgien Mysterien Theater verwende ich Fleisch, Gedärme, Blut, Tierkadaver. Und das grundsätzlich von bereits geschlachteten Tieren – um genau zu sein: Tieren, die unsere Gesellschaft für den Nahrungsmittelkonsum geschlachtet hat. Ich tue den Tieren kein Leid an!
Es geht Kritikern wahrscheinlich ums Töten an sich.
Die Mythen der Weltkultur sind angefüllt mit Opfergeschehnissen. Der geblendete Ödipus, der zerrissene Dionysos, im Alten Testament findet man zahlreiche Opfervorschriften. Und in unserem christlichen Glauben gibt es die Transformation von Brot zum Fleisch Gottes. Wenn ich mich mit solchen Mythen beschäftige, dann folge ich meinem Wissens- und Kunsttrieb.
Früher habe ich mir immer vorgestellt, wie Sie in einem Wiener Wirtshaus vor einem Beuscherl sitzen und Ihr nächstes Mysterienspiel konzipieren.
Da denken Sie schon richtig, ich esse gerne Fleisch, auch Innereien, aber viel zu viel. Zweimal in der Woche würde genügen. Aber wir sind Raubtiere, das sollen wir nicht verleugnen. Unsere Kultur ist eine Kultur der Raubtiere, und es ist besser, sich das bewusst zu machen. Schon in unserer Religion ist so viel von Fleisch und Blut und der Passion die Rede. Die Buddhisten und Hindus wollten von der Raubtierhaftigkeit weg. Und ich weiß nicht, ob das geht. Wenn man etwas unterdrückt, kommt es am Ende oft intensiver heraus.
Also planen Sie weiterhin beim Schnitzel. Mich hat in der Ausstellung überrascht, wie minutiös das geschieht. Bis ins kleinste Detail ist alles auf Partituren festgehalten. Wie passt das zur rauschhaften Existenzerfahrung in Ihrer Kunst?
Der Rausch muss doch auch erst konstruiert werden. Der Weinbauer muss zur richtigen Zeit seinen Weinberg düngen, die Trauben schneiden… So kann man jenen Wein keltern, der einen groß angelegten Rausch ermöglicht.
Die Grenzen zwischen Kunst und Leben sind bei Ihnen aufgehoben.
Im Idealfall. Das Ritual kann die Form in den Lebensablauf hineinbringen und unser Leben stilisieren.
Und daran arbeiten Sie?
Unsere Gesellschaft hat ja leider ein Ritual der Hygiene und Reinlichkeit. Was es da an Putzmitteln und Putzmaschinen gibt, unglaublich! Und weil die Leute aus dieser Zwangsneurose nicht herauskommen, machen sie Kriege. Wir sollen nicht leben wie Streunerhunde, sondern auf unsere Zivilisation stolz sein, aber das hat auch Grenzen. Und zur Zeit ist alles zwangsneurotisiert.
Ihre Kunst geht ganz schön an die Nieren.
Wir dürfen den Schmerz nicht verdrängen. Irgendwann müssen wir sterben, wir werden auch krank, deshalb ist es gut, sich damit auseinander zu setzen. Das Leben, das ich sehr bejahe und liebe, hat viel mit dem Tragischen zu tun.
Hat der Schmerz mit Ihrer Biografie zu tun?
Vielleicht ja. Ich habe als Kind schon gemerkt, wie grausam das Leben sein kann. Ich bin im Krieg aufgewachsen und habe gelernt, dass der Tod eine ständige Bedrohung ist. Aber ich glaube an die ewige Wiederkehr, dass wir immer leben zwischen Geburt, Tod und Auferstehung.
Sie gehen dauernd an Schamgrenzen, das pikst eine bürgerliche Gesellschaft am meisten.
Ich bin von meiner Mutter, die eine sehr liebe Frau war, äußerst zwanghaft erzogen worden. Sie hat mich nicht aufgeklärt, und ich hab mich durchkämpfen müssen – vor allem zu den Frauen. Mein Großvater, ein Atheist, gab mir eine Ohrfeige, weil ich gesagt habe, die Nachbarin ist schwanger. Was für ein Tabu! Vielleicht ist deshalb die Erotik im Werk so betont.
Sie haben früher schockiert. Heute applaudiert das Kunstvolk bei allem.
Dabei finde ich, dass die jüngere Kunst sehr lau, sehr durchschnittlich geworden ist. Da war schon mal ein deutlich höheres Niveau. Es gibt ganz wenige Gegenwartskünstler, die mich berühren.
Wer wäre das?
Eigentlich liebe ich nur tote Künstler, denn die lebenden sind meine Konkurrenten. Allein, was das Regietheater von mir geklaut hat! Diese ganzen Mogelregisseure gehen mir so auf die Nerven. Denn wenn’s ein Regietheater gibt, habe ich das gemacht. Aber mit meinem eigenen Theater, nicht, indem ich einen William Shakespeare oder irgendwas anderes verhunzt habe. Und wenn Sie nach Künstlern fragen, die ich schätze, dann sind das Bacon, der Lucian Freud, Pollock, de Kooning oder bei uns in Österreich der Arnulf Rainer, von dem ich sehr viel gelernt habe.
Wir sitzen in der Villa Stuck, eigentlich passt das doch ganz gut zu Ihrer Kunstauffassung.
Oh ja, das Gesamtkunstwerk! Mit Mitte zwanzig habe ich mich sehr mit dem Jugendstil auseinander gesetzt. Mit Klinger, Stuck, auch mit Wagner und „Tristan“ und „Parsifal“. Mitte der 50er Jahre bin ich als junger Bursch extra nach München gefahren, als die Stuckvilla wieder eröffnet wurde.
Ab 1968 haben Sie acht Jahre in München gelebt, weil Sie mit der Justiz in Österreich Ärger hatten.
Auch. Aber eigentlich bin ich wegen meiner ersten Frau Beate König nach München gegangen. Leute wie der Galerist Fred Jahn haben mich dann sehr gefördert. Und ich habe hier auch viele Freunde gefunden. Die Münchner waren nicht so intrigant wie die Wiener Künstler.
Warum sind Sie dann wieder zurück?
Weil meine Frau tödlich verunglückt ist. Wir hatten schon das Schloss in Prinzendorf, und damals war ich bereits etablierter, da war’s wurscht, ob ich von Wien oder von München um die Welt fahre.
Waren Sie in München schon im Wirtshaus?
Oh ja, gestern habe ich hier einen wunderbaren Schweinsbraten mit Kruste gegessen. Ich muss den Münchnern ein Kompliment machen. In durchschnittlichen Gasthäusern wird bei Euch die bayerische Küche viel besser gepflegt, als in Wien die Wiener Küche. Dort sind jetzt die Haubenköche Mode.
Dann sollten Sie hier noch eine Milzwurst auf Vorrat essen.
Mag ich auch! Und erst Weißwürschte!
Bis 8. Mai in der Villa Stuck