Helge Achenbach über seine Autobiografie „Selbstzerstörung“

Der Mann, der Aldi-Erbe Berthold Albrecht um Millionen betrogen hat, rechnet mit sich und dem „Kunst-Zirkus“ ab
von  Nina Job
Helge Achenbach, ehemaliger Kunstberater.
Helge Achenbach, ehemaliger Kunstberater. © dpa

Er war mal einer, dem die Reichsten der Republik vertrauten. Helge Achenbach beriet Millionäre und Milliardäre beim Kauf von Bildern. Über die Kunstszene hinaus wurde er bekannt, als er nach dem Elbe-Hochwasser 2002 eine Hilfsauktion initiierte, für die 45 Künstler Werke spendeten – darunter Gerhard Richter und Georg Baselitz. 2014 kam der Absturz. Achenbach hatte Rechnungen manipuliert, um höhere Provisionen zu kassieren. Er betrog den Aldi-Erben Berthold Albrecht († 2017) um einen zweistelligen Millionenbetrag. Zwei Jahre hat er hinter Gittern gesessen, zwei weitere im offenen Vollzug verbüßt. Seit Juni 2018 ist Helge Achenbach auf Bewährung frei. Am Mittwoch erscheint seine Autobiografie mit dem Titel: „Selbstzerstörung“ (riva Verlag, 240 Seiten, 19,99 Euro). Es ist vor allem eine Selbstanalyse.

AZ: Wie geht es Ihnen heute, zurück in der Freiheit?
HELGE ACHENBACH: Mir geht es wieder sehr gut mental. Ich fühle mich heute fast besser als vor fünf Jahren. Da war ich ein Getriebener. Das Schlimmste war diese Hektik und Ruhelosigkeit. Durch den Erfolg, aber auch durch den Druck war ich so getrieben, dass ich nicht mehr auf meine eigene Stimme gehört habe. Nur das hat mich zu dieser schwachsinnigen Tat gebracht, dass ich einen Kunden und Freund um bestimmte Beträge betrogen habe.

Haben Sie den Hals nicht vollgekriegt?
Richtig. Aber es ging mir nie nur um den schnöden Mammon. Es ging darum, dass Geld Macht bedeutet. Aber auch: zu machen! Ich war immer offen für Kulturprojekte. Viele Museumsdirektoren kamen zu mir und baten mich um Unterstützung. Die habe ich ihnen gegeben und dafür Lob und Dank bekommen. Es war eine narzisstisch geprägte Sehnsucht nach Anerkennung. Mein Lebenswandel kostete natürlich auch Geld. Wenn du mit dem Privatjet fliegst, kostet das halt einfach die Stunde fünf Mille. Dann lädst du die Kunden ein. Für all das musst du viel Geld verdienen.

Sie besaßen 17 Oldtimer, die kosten ja auch was.
Stimmt. Gleichzeitig habe ich durch die Oldtimer auch ein Know-how entwickelt, mit dem ich dann wieder Geld verdient habe. Klar: Wenn ich den Helge der 70er Jahre sehe, der eine Mission hatte als Sozialarbeiter und Sozialpädagoge, der im Strafvollzug gearbeitet hat und eine klare politische Position hatte – nämlich links und sozial – und dann wird daraus so ein Kerl, wie ich es am Ende war, dann ist das auch ein schmerzhafter Prozess. Ich habe mich sozusagen auf den Tanz um das Goldene Kalb eingelassen. Ich habe Schwäche gezeigt. Nicht Nein gesagt.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie sich als Junkie.
Von Kunst geht eine unglaubliche Faszination aus. Und wenn man den Erfolg spürt, tut einem das natürlich gut. Es schafft aber auch Abhängigkeiten. Mich hat in den letzten Jahren das Materialistische immer mehr abgestoßen. Ich war zwar dabei und habe mitgepokert, aber es hat mich auch erschreckt. Letztlich ist das wie bei einem Alkoholiker, der sich am Morgen, wenn der Rausch zu Ende ist, ekelhaft fühlt.

Ihre Kunden waren Millionäre, einige sogar Milliardäre. Wollten Sie dazu gehören?
Klar. Da war die Sehnsucht, bei den Mächtigen mitspielen zu können. Man darf aber auch nicht vergessen: Ich habe Mick Flick für 10 Millionen Kunst verkauft, die heute vielleicht 600 oder 700 Millionen Euro wert ist. Oder Frieder Burda hat mit den 30 schönsten Gerhard-Richter-Werken, die er von uns bekommen hat, die Basis für sein Museum geschaffen. Oder wenn ich an die Victoria Versicherung (heute Ergo, die Red.) denke: Die haben von Gerhard Richter Victoria 1 und 2 von mir bekommen, sechs mal vier Meter große Bilder. Die haben damals 240 000 Mark gekostet, heute kosten sie sicher 100 Millionen. Dieses Gefühl des Erfolgs teilt man aber dann nicht mit einem. Die Käufer sind stolz auf sich, aber nicht auf mich. Das hat auch wehgetan. Nachvollziehbar, oder?

Schon. . .
Dankbarkeit darfst du nicht erwarten. Ich war ein Mensch, der in einer verunsicherten Kindheit großgeworden ist. Ich erfuhr, dass mein Vater nicht mein Vater war, ich bekam nicht die Liebe und Zuneigung, die man sich wünscht. Also habe ich mir meinen eigenen Weg gesucht. Doch dass die Anerkennung irgendwann mit dem Erfolg kommt – Pustekuchen! Neid kriegst du. Das alles soll aber nichts entschuldigen. Ich habe irgendwann meine Integrität verloren und mich mit dem Bewusstsein getröstet, dass alles, was ich verkauft habe, eh immer teurer wird.

War das Urteil ungerecht?
Da gibt es zwei Meinungen. Frau Albrecht sagt, der Verbrecher soll bis zum Ende seines Lebens im Gefängnis bleiben.

Und was sagen Sie?
Ich will das gar nicht kommentieren. Weil ich denke, ich habe einen Fehler gemacht und dafür wurde ich bestraft. Mir hat das Gefängnis sogar gutgetan.

Warum?
Weil es mich runtergeholt hat. Es war nicht gut für meine Familie, für meine Kinder und für meine Unternehmen. Aber für mein Leben war es ein unglaublich spannender Prozess. Nackig zu stehen, nichts mehr zu haben, zu merken: So, mein Freund, jetzt gibt es zwei Wege: Entweder du kämpfst oder du gibst auf. Ich habe mich für das Kämpfen entschieden.

Ihren großen Kunstverstand haben Sie ja nach wie vor. Wie groß ist die Rückfallgefahr?
Dass ich Provisionen nachträglich verfälsche, die Gefahr besteht nicht.

Ich meine, wieder zurückzukehren in den „Kunst-Zirkus“, wie Sie’s bezeichnen? Oder sind Sie für immer verbrannt?
Ich werde niemals wieder Kunsthändler. Auch wenn sich immer wieder Unternehmer an mich wenden, denen ich behilflich sein soll. Die meisten Dinge interessieren mich überhaupt nicht mehr. Ich bin froh, aus diesem ganzen Zirkus raus zu sein. Ich will mich für Künstler in Not einsetzen. Ich will nicht mehr mit Drogen handeln.

Kunst als Droge?
Ja.

Fühlen Sie sich mitschuldig, dass die Preise auf dem Kunstmarkt in den letzten Jahrzehnten so explodiert sind?
Sicher nicht. Dafür gibt es ganz andere. Es ist so, dass die internationalen Auktionshäuser und die ganz großen, sechs, sieben Galerien gemeinsam an der Brutalisierung der Werte gedreht haben. Es ist völlig wahnsinnig, dass Kunstwerke, die 100 000 Euro gekostet haben, plötzlich fünf Millionen kosten. Diese Entwicklung findet heute innerhalb von zwei, drei Jahren statt. Das ist eine Pervertierung des Systems. Ein Museumsdirektor hat zu mir gesagt: Die Preise werden an den Reichen orientiert, nicht mehr an der Kunst. Ein Pinault oder Arnault, die zwei reichsten Männer Frankreichs – oder sagen wir, die Reichsten Asiens oder Europas – kaufen lieber für vier oder fünf Millionen Euro Werte, als dass sie aus ihrer Sicht ein Risiko für 100 000 angehen.

Könnte dieser Markt irgendwie reguliert werden?
Nein, glaube ich nicht. Es geht natürlich um mehr Transparenz. Und mehr Sinnhaftigkeit. Vielleicht müssen die Menschen, die diese Kunst spekulativ sehen, erst mal begreifen, dass sie Kunst lieben sollen. Das Irrsinnige ist ja, dass es heute diesen supergehypten Kunstmarkt gibt, aber eine unendliche Zahl von Künstlern, die überhaupt nicht existieren können. Es gibt eine ungeheure Diskrepanz zwischen einem klitzekleinen Weltmarkt, der geschoben ist von Marken wie Louis Vuitton und anderen. Die Eigentümer sind livestyleorientierte Einkäufer.

Welchen Künstler halten Sie für am meisten überschätzt?
Zwischendurch habe ich immer mal gedacht: Damian Hirst. Aber der macht auch interessante Arbeiten. Die Superstars sind schon nicht schlecht, aber sie sind zu teuer. Es gibt sicher viel, viel bessere Künstler, die nicht gehypt werden und die man kaufen kann. Das ist das Spannende.

Der Kunstmarkt ist noch viel verrückter als der Immobilienmarkt. . .
Ja klar, bei der Kunst geht es nur um das Formale. Es gibt keine Transparenz. Warum kostet heute ein Gerhard Richter 50 Millionen Dollar, ein Georg Baselitz 10 Millionen und ein Neo Rauch nur eine Million Dollar? Da werden bestimmte Werte durch intelligente Vermarktung von Händlern und Investitionsgruppen manipuliert. Ich habe das selbst erlebt. 1989 habe ich eine Andy Warhol Ausstellung in Frankfurt gemacht, zwei Jahre nach seinem Tod. Die Ausstellung wurde bejubelt. Dann kam an einem Tag José Mugrabi aus New York eingeflogen. Er ist heute der größte Andy Warhol- und Basquiat-Sammler und -händler. Der wollte meine Ausstellung kaufen – mit einem klitzekleinen Aufschlag. Das habe ich nicht gemacht. Die 20 Arbeiten hatten mich damals 5 Millionen Dollar gekostet. Heute würde sie 500 Millionen kosten. Mugrabi hat es seitdem geschafft, dass dieser Markt von Warhol gecornert ist, das heißt, künstlich nach oben geschoben wurde. Durch Auktionsergebnisse, durch Preisbestätigungen von Händlern und Sammlern und eben von ihm. Der besitzt, glaube ich, mindestens 800 Warhols, und kam als Milliardär aus der Zuckerindustrie Kolumbiens. Da ist ein Markt künstlich gemacht worden.

Zurück zu Ihnen. Sie besaßen Kunstwerke, Oldtimer, Restaurants und Immobilien. Das ist alles versteigert worden. Wovon leben Sie heute?
Ich habe einen tollen Freund, einen Unternehmer, der seit vielen Jahren zu mir steht. Er hat für mich eine kleine Kulturgesellschaft gegründet, die mir 2000 Euro brutto zahlt. Mir bleiben 1200 Euro netto.

Wie viele Schulden haben Sie?
Zehn, fünfzehn, zwanzig Millionen? Irgendwas dazwischen. Das Problem ist diese Intransparenz bei einem Insolvenzverwalter. Das Geld ist ja eigentlich da. Man hat 2500 Kunstwerke von mir verhökert, ich sage bewusst verhökert, denn das war eine sehr dilettantische Aktion. Ein Kunstwerk, das in einer Galerie in Amerika 200 000 Dollar kosten würde, wurde für 5000 Euro angeboten. Auch meine Oldtimer, ich hatte 17 Stück, wurden alle verklopft.

Sie besaßen einen Bentley von Beuys, ist der auch weg?
Der ist auch weg, was mir das Herz bricht.

Wissen Sie, wo er ist?
Der ist wohl bei einem holländischen Sammler gelandet. Ich hab’ das irgendwann mal so ausgedrückt: Ich bin jetzt entmaterialisiert. Am Ende werden wir alle gehen. Da werden wir nichts an materiellen Dingen mitnehmen. – Ist ja auch eine schöne Übung, das Loslassen. Ich versuche es zumindest.

Wie oft kaufen Sie denn bei Aldi ein?
Mindestens einmal die Woche. Ich kaufe die Grundnahrungsmittel für unseren Verein „Kultur ohne Grenzen“ ein. Wir setzen uns für Künstler in Not ein.

Sie wohnen bei Günter Wallraff in Köln. Wie geht denn das zusammen? Als Sie sich vor ein paar Jahren kennenlernten, waren Sie da für ihn nicht ein Teil des Turbokapitalismus?
Absolut. Aber er hat gespürt, dass ich wegwollte. Und Günter kann auch differenzieren. In 99 Prozent der Fälle war ich absolut korrekt, bei einem Prozent war ich nicht integer. Es gibt auch Ähnlichkeiten zwischen uns: Wir sind beide Narzissten und kommen aus einer linken Ecke.

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