HAP Grieshaber: Der Widerständige von der Schwäbischen Alb

Es ist eine andere Zeit, die sich hier auftut. Auf den ersten Blick erzählen das Farben wie ein hoffnungsvolles Preußischblau und Zitronengelb, Russischgrün mit seiner Tendenz ins Moosige oder ein helles Grau, das zurückhaltend genug ist, um sich mit dem Hintergrund zu begnügen. Helmut Andreas Paul, kurz HAP, Grieshaber hatte ein feines Gespür für das Kombinieren von Farbtönen. In ihrer pudrig-gedämpften Nostalgie verweisen sie auf die 50er Jahre, auf der anderen Seite unterstreichen sie die Präsenz der nachdrücklich reduzierten Formen.
Wie bei Franz Marc spielen Tiere eine besondere Rolle
Das ist delikat und funktioniert aus der Fläche heraus, ohne sich unnötig in der Tiefe zu verlieren. Die Formate tun ein Übriges: Grieshaber hat den ursprünglich überschaubaren Holzschnitt so sehr vergrößert, dass die Schauräume im Schloßmuseum Murnau mit drei Dutzend Arbeiten, darunter vier Druckstöcken, ziemlich gut gefüllt sind.
Aber warum hat der 1981 verstorbene Künstler diesen Auftritt im Blauen Land, das man mit Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Franz Marc verbindet? Museumsleiterin Sandra Uhrig schlägt gerne einen Bogen zur eigenen Sammlung. Das beginnt in diesem Fall schon mit dem Titelbild zum Almanach des "Blauen Reiters" von 1912: Auf der vielleicht wichtigsten programmatischen Schrift zur Kunst des 20. Jahrhunderts mit der seinerzeit visionären Aufhebung von Grenzen leuchtet ein dynamischer Farbholzschnitt mit dem heiligen Georg auf einem sich aufbäumenden Pferd.
Das ist ein schöner Zusammenhang, zumal bei Marc wie bei Grieshaber Tiere eine besondere Rolle spielen. Die dunklen Hintern der Fjordrösser von 1960 lassen sofort an die Pferde-Variationen des in die Sindelsdorfer Abgeschiedenheit geflohenen Münchners denken. Doch eine mehr als anrührende Schau hätte sich daraus kaum ergeben, auch und gerade, weil Grieshabers zeitgleich in Künzelsau und kürzlich in Wiesbaden gezeigtes Œuvre in ganz anderer Hinsicht an Aktualität gewinnt.
Das beginnt überraschend simpel mit einem Gesicht, das heißt: der "Koreanischen Mutter", die den Männern der Welt zuruft, "endlich einmal auf friedliche, demokratische Weise die wirtschaftlichen Probleme" zu lösen. Gleich nach dem Ausbruch des Koreakriegs am 25. Juni 1950 fabriziert Grieshaber in einer Nacht- und Nebelaktion das Plakat. Unterzeichnet ist es vom "Komitee der Kämpfer für den Frieden, Ortsausschuss Reutlingen". Der besteht aus einer einzigen Person, die hoch droben auf der Achalm schnitzt und druckt und hadert. Oft genug mit der Politik und der Gesellschaft, auch mit der Zerstörung der Natur.
Doch der kompromisslose Humanist von der Schwäbischen Alb ist kein Solist und steht sehr wohl im Austausch mit Gewerkschaften und einer Friedensbewegung, die sich in den 50er Jahren neu formiert. 1909 in Rot an der Rot geboren hat er Krieg und Gefangenschaft erlebt, dieses frühe Déjà-vu macht ihn fassungslos. Und während Pablo Picasso 1949 eine Friedenstaube munter in die Höhe steigen lässt, antwortet Grieshaber im Jahr darauf mit einer gefesselten Taube.
Im Querschädel sitzt auch ein stiller Romantiker
Was er heute zu scheinbar gedankenlos dahingesagten Forderungen wie der "Kriegstüchtigkeit" der Bundeswehr - bis vor kurzem hieß es noch Wehrtüchtigkeit - sagen würde, kann man sich leicht ausmalen. Gewalt und sei es zunächst nur das "Gewaltmarkieren" hat Grieshaber auf die Palme gebracht. Sowieso das Einschränken der Freiheit, das er auch nicht bloß vom Hörensagen kannte. Dem gelernten Schriftsetzer, der an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule Gebrauchsgrafik und Buchdruck studiert hatte, drohte die Reichskulturkammer 1937 mit Berufsverbot.
Seine "Reutlinger Drucke" hat er dann kurzerhand ins Englische übersetzt und als "The Swabian Alp / a book of woodcuts" unter der Hand veröffentlicht. Grieshaber wusste, wie man durchkommt. Auf seinen Reisen nach England, Ägypten, Nubien und nach Griechenland hat er sich in Druckereien und bei Magazinen über Wasser gehalten, 1933, nach der Rückkehr nach Deutschland mit Gelegenheitsjobs.
Ein Romantiker
Grieshaber hing sowieso nie an Habseligkeiten oder Posten, und wenn ihm etwas gegen die Hutschnur ging, musste er loslassen. Vom Lehrstuhl in Karlsruhe zum Beispiel, weil er die aus der NS-Zeit übernommenen Prüfungsmodalitäten nicht akzeptieren konnte. An der Kunstakademie war der leidenschaftliche Lehrer 1955 auf den Brücke-Maler Erich Heckel gefolgt, und langsam stellten sich dann auch die Erfolge ein, von den immerhin drei documenta-Teilnahmen bis zu internationalen Ausstellungen wie der Venedig-Biennale.
Doch im Querschädel mit Schildmütze und Schnäuzer sitzt auch ein Romantiker, der in eindrucksvollen Bildern die Liebe besingt, die Erotik und den Tanz. Genauso ist er ein Familienmensch, der Mütter und Kinder so zärtlich in seine Holzstöcke stichelt, dass er sich mühelos in eine christliche Kunsttradition einreihen ließe.
Den stärksten Eindruck hinterlässt freilich ein Boot mit einem Paar und seinen Schafen. Pferde ziehen die kleine Arche auf einem Wagen hinter sich her. Grieshaber hat sich 1952 an einer Postkarte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger orientiert.
"Je mehr man von der Kunst spricht, desto weniger ist sie da"
Themen wie Flucht und Bergung drängen sich auf, auch der Aufbruch in eine neue Welt, vielleicht in die Freiheit, so ungewiss sie auf dem Holzschnitt "Deutschland" mit seinen roten, blauen und erdigen Akzenten erscheinen mag. Denkbar wäre auch die Rückkehr nach der Vertreibung, doch das bleibt offen wie so vieles in diesem Werk. Denn mit der Kunst sei es wie mit der Liebe, fand Grieshaber: "Je mehr man von ihr spricht, desto weniger ist sie da".
"HAP Grieshaber. Handdrucke der 1950er-Jahre" bis 10. November im Schloßmuseum Murnau, Di bis So 10 bis 17 Uhr (bis 29. 9. Sa/So bis 18 Uhr) www.schlossmuseum-murnau.de