Der unterschätzte Macher: Hans Holbein

Sein Sohn war der Starmaler Heinrichs VIII. - doch vor 500 Jahren hat Hans Holbein der Ältere kräftig daran mitgewirkt,dass Augsburg zur europäischen Kunstmetropole wurde
von  Christa Sigg
Anrührend zärtlich: Hans Holbein d. Ä. hat die "Maria das Kind liebkosend" um 1496/99 geschaffen.
Anrührend zärtlich: Hans Holbein d. Ä. hat die "Maria das Kind liebkosend" um 1496/99 geschaffen. © KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien

Ein bisschen kühn ist es schon, so schnell wieder mit Holbein daher zu kommen. Vor einem Monat erst ging in Wien die Superschau "Holbein und die Renaissance im Norden" zu Ende, davor war sie in Frankfurt zu sehen. Für die nächsten Jahre sollten die neuesten Erkenntnisse in die Öffentlichkeit gebracht sein, zumal die Bedeutung Augsburgs so sehr unterstrichen wurde - endlich, muss man sagen -, dass eine Ausstellung in der Fuggerstadt selbst einer Art Eulentransport nach Athen gleichkommt.


Nun gibt es dort gar nicht so umwerfend viele Holbeins. Die Lösung des Dilemmas ist dennoch so einfach wie überzeugend: Man konzentriert sich auf den "Älteren Holbein", der vor 500 Jahren gestorben ist - nicht in Augsburg, wo er 1465 geboren wurde, sondern in Basel. Allerdings hat dieser Übervater in seiner Heimatstadt kräftig daran mitgewirkt, dass sich im freundlichen Miteinander und genauso durch das Konkurrieren und Rangeln eine Qualität entfalten konnte, die Augsburg binnen weniger Jahre zur europäischen Kunstmetropole werden ließ.

Das ist verhältnismäßig leise, das heißt, kammermusikalisch erzählt, denn die großen Spitzenwerke sind fürs Schaetzlerpalais - quasi als dritter Station - nicht mehr zu haben oder schlicht unerreichbar. Und an ein Aufgebot, wie es der damalige Sammlungsdirektor Bruno Bushart noch zur Jubiläumsschau 1965 im Augsburger Rathaus präsentieren konnte, also mit allem, was nur irgendwie zu Hans Holbein dem Älteren greifbar war, ist heute erst recht nicht mehr zu denken. Schon weil viele Tafeln aus konservatorischen Gründen gar nicht den Ort wechseln dürfen.

Dabei ist gerade das Werk Holbeins über die Jahrhunderte kräftig dezimiert worden. Erst von den Bilderstürmern der Reformation: Augsburg war durch den Auftritt Martin Luthers und die Verteidigung seiner Thesen im Jahr 1518 weit vorne mit dabei. Und was halbwegs heil durch die brutale Kirchenrevolution kam, wurde von der Barockisierung und später von der Säkularisation erledigt.

Man hat es also mit einem Bruchteil zu tun. Doch der ist beeindruckend und gibt im Schaetzlerpalais durch eine Reihe delikater Exponate Einblick in Holbeins florierende Werkstatt. Für junge Künstler muss sie ein Dorado gewesen sein, hier gab es Zeichnungen von den Stationen der Passion Christi und genauso vom Marienleben - und überquellende Auftragsbücher. Da sich der Meister an der detaillierten Malweise der Niederländer und Flamen orientierte, waren seine Porträts sowieso gefragt.

In der Augsburger Melange waren fast alle verwandt

Holbein ist eine Anlaufstelle für motivierte Talente, sei es Hans Schäufelein oder Martin Schaffner, und durch gut ausgebildete Gesellen kann er auch in Frankfurt Projekte wie den Altar in der Dominikanerkirche übernehmen. Der zauselige Meister ist ein Teamworker. Bereits mit dem Bildhauer Michel Erhart war er erfolgreich für das Benediktinerstift in Weingarten im Einsatz - die Altarbilder hängen heute in St. Ulrich und Afra in Augsburg. Anders waren große Aufgaben aber auch nicht zu stemmen.

Der Reiz dieser Holbein-Ausstellung liegt freilich in der Augsburger Melange, in der alle irgendwie miteinander verwandt, verschwägert oder verbandelt waren. Hier treffen die unterschiedlichsten Typen aufeinander: der experimentierfreudige und italiengeschulte Hans Burgkmair der Ältere zum Beispiel, Michels Sohn, der Bildhauer Gregor Erhart, Kistler bzw. Schreiner wie Adolf Daucher, die Maler Jörg Breu oder auch Ulrich Apt, der mit seinen Söhnen eine regelrechte Bildermanufaktur betrieb.

Man hat von den Ideen der Kollegen profitiert, sie weiterentwickelt oder variiert, und in einer Stadt, die zu immer mehr Reichtum kam, stieg der Bedarf immens. Es waren lange nicht nur die Fugger, die sich ihrem Besitz gemäß in Szene setzen wollten - mit Porträts natürlich und christlichen Bilderzyklen. Holbein gehörte zu den Ersten, die ihre Entwürfe in Kupfer stechen ließen, entsprechend breiter konnte er seine Arbeiten streuen. Und er hat sich Außergewöhnliches wie die Rückenfigur der heiligen Thekla (vor 1504) ausgedacht: Im Zentrum einer Bildkomposition sitzt die Schülerin des Apostels Paulus auf ihrem Stuhl und lauscht seiner Predigt.


Es sind überhaupt die Zeichnungen, die für Holbein einnehmen. Da wäre eine schicksalsergebene und zugleich selbstgewisse Ordensschwester aus dem "Kleinen Klebeband" der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg - zum Betrachter blickend kniet die Dame außerdem mit zwei anderen Klosteropfern auf dem sogenannten Epitaph der (drei) Schwestern Vetter, der heute in der Katharinenkirche zu sehen ist. Auffallend sind auch die beiden Bubenköpfe aus Berlin, die möglicherweise Holbeins Söhne darstellen, das heißt Ambrosius und Hans, der schon in jungen Jahren sehr gefragt ist und als Hofmaler von Heinrich VIII. endgültig zum Star avanciert.


Dass auch der ältere Holbein offen für Neues war, demonstriert eine gewisse Farbpracht, zu der er sich wohl von Matthias Grünewald und dessen Isenheimer Altar anregen ließ, und dass er ordentlich über seinen spätgotischen Schatten gesprungen ist, hätte der 1519 entstandene "Lebensbrunnen" mit seiner reich ornamentierten Renaissancearchitektur verdeutlichen können. Der wurde übrigens lange dem jüngeren Hans zugeschrieben, durfte aber leider (!) nicht aus Lissabon anreisen.

Am Ende ist es die Zärtlichkeit, die für Holbein einnimmt

Am Ende ist es dann die nur 16 mal 24 Zentimeter kleine Tafel aus den späten 1590er Jahren, die den Höhepunkt der Schau bildet und für die sich der Weg nach Augsburg lohnt. Aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien kommt die "Maria, das Kind liebkosend". Der Titel ist allerzärtlichstes Programm. Und das vor einem gestichelten Goldhintergrund, der an Pergamentporen erinnert, sich aber doch eher auf die Lösungen der alten Niederländer bezieht. Zudem sind die Ärmelborten mit den anschließenden Perlchen so unglaublich fein gearbeitet, dass man beim Studieren Gefahr läuft, die Alarmanlage auszulösen.

Durch andere Kabinette kämpft man sich dagegen mit einer gewissen Contenance. Dass im Katalog kein Bild beschriftet ist und man sich anhand von Nummern durch halbe Aufsätze oder den Anhang sucht, macht das Vergnügen nicht größer.

"Der ältere Holbein - Augsburg an der Schwelle zur europäischen Kunstmetropole", bis 20. Oktober 2024 im Schaetzlerpalais Augsburg, Maximilianstraße 46, Di bis So 10 - 17 Uhr; Katalog (Imhof Verlag, 176 Seiten, 29,95 Euro)

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