Glyptothek: Lächelnd durch die Jahrtausende

Lächeln ist eine Lösung. Die Ägineten kommen jetzt schon seit 2.500 Jahren damit durch. Und man sollte bedenken, dass die griechischen Kämpfer im Lauf der Zeit fiese Frakturen hinnehmen mussten, um Ewigkeiten später für den bayerischen König Ludwig I. mit allerlei kunstvollen Prothesen geflickt zu werden. Bekanntlich war das nicht der Weisheit letzter Schluss, seit über 50 Jahre dürfen sie sich wieder mit all ihren Fehlstellen zeigen.
Wenn nun aber morgen die Glyptothek nach zwei Jahren Renovierung ihre Tore endlich aufsperrt, dann geschieht das mit einer Ausstellung über den Mann, der den Ägineten vor rund 200 Jahren die alte Vollkommenheit zurückgeben musste: den Dänen Bertel Thorvaldsen.
Thorvaldsens 250. Geburtstag war am 19. November
Das ist erfreulich, aber auch ein Drama. Denn wer Florian Knauß in den letzten Tagen besucht hat, sah den Direktor noch spät abends mit seinem Team am Feilen und Perfektionieren. Jetzt sollte nachgeholt werden, was während der Schließung im Herbst nicht gelang. Thorvaldsens 250. Geburtstag war ja bereits am 19. November, und die Eröffnung just an diesem Tag hätte sich zudem elegant ins "Deutsch-Dänische kulturelle Freundschaftsjahr" gefügt.

Vorbei und vergessen, Thorvaldsen bleibt aktuell. Es fragt sich nur, wie lange man diese Schau sehen kann, der nächste Lockdown steht unmittelbar bevor. Und dann darf der umfassende Katalog als Ersatz für etwas herhalten, das den Raum braucht. Unbedingt. Zumal der hochtalentierte Bildhauer aus Kopenhagen, dem kurz nach 1800 der Durchbruch im konkurrenzreichen Rom gelang, tief mit dem Kunsttempel am Königsplatz verbunden ist.
Er war es, der neben Martin von Wagner den Blick des damaligen Kronprinzen für die Antike geschärft hat, der eine herausragende Porträtbüste von ihm schuf, den Adonis (1808/1832), der normalerweise in der Neuen Pinakothek steht, oder das Reiterstandbild des Kurfürsten Maximilian I. (1839) am Wittelsbacher Platz. Dazu war Thorvaldsen quasi als plastischer Chirurg gefragt, wenn es eben um die 1811 angekauften Giebelfiguren des Aphaia-Tempels der Insel Ägina vor Athen ging.
Mit einigem Widerwillen übrigens. Thorvaldsen hatte größten Respekt vor den altgriechischen Meistern. Aber der spätere König hing noch den Vorstellungen des 18. Jahrhunderts an, und der Torso wurde erst mit der Zeit höher bewertet als jede noch so gekonnte Ergänzung. Heute würde man darüber keinen Gedanken mehr verlieren.
Hohe Qualität der Nachbildungen
Was bei allen berechtigten Einwürfen allerdings besticht, ist nicht nur die hohe Qualität dieser Nachbildungen, sondern genauso das Einfühlungsvermögen Thorvaldsens in das Schaffen seiner antiken Kollegen. Er musste Skulpturen komplettieren, die damals noch gar nicht bekannt waren. Denn die Römer hatten Hoch- und Spätklassisches, zum Teil noch Helenistisches kopiert. Archaisches kam ihnen nicht in den Sinn.
Und dann verblüfft Thorvaldsen etwa mit einem Kopf, der - samt archaischem Lächeln - hervorragend neben dem Original bestehen kann und sogar Verwitterungsspuren aufweist. Besser ging's nicht. Das hat selbst Kunstkenner wie Jacob Burkhardt begeistert. Und als Thorvaldsens Zutaten in den 1960er Jahren weichen mussten, waren es gerade die stilbewussten Kunsthistoriker, die heftig protestierten.
Nun stehen die Ägineten wieder in logischer Kampfanordnung im zentralen Hauptsaal der Glyptothek. Überhaupt ist wenig verrückt oder ausgetauscht worden. Nur im Römersaal herrscht neuerdings wohltuend chronologische Ordnung, und mindestens Lehrer dürften es begrüßen, wenn sie ihre Schulklassen nicht mehr zwischen wild kombinierten Republikanern, Kaisern wie Augustus oder Nero und spätantiken Porträtköpfen hin- und hermanövrieren müssen.
Angenehmes Licht durch erneuerte Fenster
Durch die rundum erneuerten mächtigen Fenster fällt angenehm weiches Licht auf die Skulpturen. Nur wenige dezente Spots betonen Details wie etwa am Anfang des Rundgangs beim Barberinischen Faun. In erster Linie wurde ja auch technisch aufgefrischt, von der Elektronik bis zu den Sicherheitsvorkehrungen.
Und tatsächlich ist draußen am meisten passiert, indem man sich auf die Geschichte dieses klassizistischen, von Leo von Klenze im griechischen Stil entworfenen Tempels besonnen hat. Der kennt zum Beispiel keinen Mörtel, stattdessen gibt es wieder Pressfugen. Und weil schon damals bei der Errichtung zwischen 1816 und 1830 Einsparungen angesagt waren, wurde nur zum Königsplatz hin Marmor verwendet. Die restlichen Fassaden bestehen aus Ziegeln und bemaltem Putz, Fake-Marmor sozusagen, der über die Jahre verblasst ist.
Wer genau hinschaut, erkennt nun ein elegantes Farbspiel, das die Mauerflächen belebt. Und statt wildem Wein und Efeu dürfen sich im Innenhof demnächst Kletterrosen die Wände hinaufhangeln. Dazu kommt ein barrierefreier Zugang. Und im Sommer sollten auch die südliche, westliche und östliche Außenfassade abgeschlossen sein. Summa summarum hat diese Generalsanierung dann 17 Millionen Euro gekostet.
Bertel Thorvaldsen hätte dazu allenfalls mit den Schultern gezuckt. Von Rom bis Kopenhagen war er der gefeierte Bildhauerstar, mit dessen Werken sich Adel und Päpste schmücken wollten. Dass hinter diesem Erfolg steinharte Arbeit und die ausgetüftelte Technik einer schlagkräftigen Werkstatt standen, das ist jetzt in der Glyptothek erhellend aufbereitet.
Man erlebt aber auch einen freundlichen, sympathischen Künstler, der sich mit den Ägineten womöglich gar nicht so schwertat, weil er dieses unfassbare archaische Lächeln nachempfinden konnte und wusste: Damit kommt man durch sämtliche Krisen. Auch die ganz fiesen.
"Bertel Thorvaldsen und LudwigI." bis 25. Juli, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr; Einlass nur nach Voranmeldung über www.muenchenticket.de; Katalog (244 Seiten, 29,90 Euro)