Glauben? Hören und fühlen!
Lautsprecher werden präpariert und im Raum verteilt, Rosenwasser in den Boden eingerieben, Plexiglas-Kuben, auf die man sich wird legen können, sind aufgestellt. Die Muffathalle bereitet sich auf den Abend „Eine Koranische Phonograpie auf 114 Körper“ vor. Mitten drin, ruhig und begeistert zugleich: der Künstler Berkan Karpat.
AZ: Herr Karpat, die Mehrheit der Bevölkerung hat keine Ahnung vom Koran. Sind wir reif für Ihr Projekt?
BERKAN KARPAT: Die Menschen gehen ja auch bewusst in den Film „Der Medicus“ und begegnen da der islamischen Hochkultur. Und ich mache keine philologische Koranschulung. Im Gegenteil. Mein Zugang ist in der Tradition der Sufi. Hier wird der Koran nicht als Lesetext, sondern als Offenbarungstext verstanden, den man im Vortrag erfährt, er wird nicht wie ein Schrifttext aufgenommen, sondern im Zuhören.
Und wie weiß man, ob man ihn richtig versteht?
Das ist religiös eine Frage der Gnade. Aber die Zugänglichkeit ist hier ohne Schwellen. Denn der Gelehrte Muhyiddin Ibn Arabi, der von 1165 bis 1240 lebte, meint: Im Klang manifestiert sich bereits das Offenbarte, da könnte sogar der Inhalt verhallen. Und wenn der Ton das tragende Element ist, dann hat auch jeder Zugang, dann ist es universell.
Wie sieht Ihr akustisch seelischer Zugang heute in der Muffathalle aus?
Man kann den gesamten Koran als akustische Partitur körperlich erleben.
Das klingt aber abstrakt, kopflastig.
Aber es ist ganz körperlich. Bei uns wird der Koran von 27 Stimmen simultan rezitiert – und dann mit präparierten Lautsprechern in Schwingungen umgesetzt und übertragen auf liegende Plexiglas-Quader, auf denen man liegen kann und so die Schwingungen fühlt. Ich habe 2004 mit Wissenschaftlern im Deutschen Museum auch einmal erforscht, wie Schwingungen eines rezitierten Textes auf einen Menschen wirken, auf die Blutzirkulation, die Hormonausschüttung, Blutwert. Und da ist klar: Der Offenbarungstext hat einen befreienden, reinigenden Effekt.
Sie haben auf der Boschbrücke beim Deutschen Museum eine optische und akustische Skulptur gebaut. Hier in der Muffathalle gibt es heute den Koran zum Hören und Spüren. Welche Sinne fehlen noch?
Im Lokschuppen der Isartalbahn werde ich Mitte Februar dann mit Akustik, Puderzuckerwolken und Zuckerwasser spielen, da kommt dann noch Schmecken mit hinzu. Und heute in der Muffathalle wird der Boden mit Rosenwasser eingelassen, so dass Riechen auch eine Rolle spielt. Aber insgesamt kommt es auf einen weiteren Sinn an, einen seelischen: die Gnade Gottes, die einen etwas Spirituelles, eine Offenbarung erfahren lässt. Es ist die Wahrnehmung, wenn sich das Herz öffnet.
Könnte man das Gleiche, was Sie mit dem Koran machen, auch mit dem Alten Testament veranstalten?
Nein, man müsste andere Formen finden, weil die Testamente Schriftzeugnisse zum Lesen sind. Der Koran ist aufs Rezitieren und Vortragen ausgelegt. Das habe ich künstlerisch berücksichtigt. Es steht schon in der ältesten Sure 96: Da steht nicht: „lies“, sondern „trage vor“, „mach’ mich hörbar“
Heute, Donnerstag, 9.1., ganztägig: „Die Weitung: Basmala – eine koranische Skulptur“: Boschbrücke am Deutschen Museum. „Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen“, kurz: „Basmala“. Diese Suren-Einleitung wird auf unsere Netzhaut projiziert und ihre Bewegungen in Töne verwandelt, die aus der Isar aufsteigen (frei zugänglich). Ebenfalls heute, 19.30 Uhr, Muffathalle, Eintritt frei: „Die Weitung: Hatim – eine koranische Phonographie auf 114 Körper“ (siehe Interview). Karten-Reservierung: dieweitung@gmx.de; ab 14. Februar, ehemalige Betriebswerkstätten Isartalbahn (Benediktbeurerstraße): „Die Weitung: Serbet – eine koranische Installation“ mit Akustik, Puderzuckerwolken und Zuckerwasser wird die Sure 36 („Das Herz des Korans“) erlebbar.