Glasklare Bekenntnisse: Ausstellung von Schweizer Scheibenrissen in der Pinakothek der Moderne

Die Leuchtreklame der frühen Neuzeit war ziemlich anspruchsvoll und vor allem eine Spezialität der Schweiz. Die qualitätsvollen Vorlagen für die schillernden Scheiben sind in der Pinakothek der Moderne zu sehen.
von  Christa Sigg
Die Breze verbindet: Vom Zürcher Zeichner Jost Amman stammt dieser Scheibenriss für das Wappen eines Müllers und seiner Ehefrau, entstanden ist der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zu sehen ist hier allerdings nur ein Detail.
Die Breze verbindet: Vom Zürcher Zeichner Jost Amman stammt dieser Scheibenriss für das Wappen eines Müllers und seiner Ehefrau, entstanden ist der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zu sehen ist hier allerdings nur ein Detail. © Staatliche Graphische Sammlung München

Es gibt kuriose Formen des Patriotismus. Gerade in der Schweiz, wo die Fahnendichte - die Eidgenossen sprechen nicht von Flaggen - in den Bünten, also in den Schrebergärten, schon beim Grenzübertritt explosionsartig in die Höhe schnellt. Und man könnte noch einiges aufzählen, aber all das dürfte nicht an eine kunsthistorische Eigentümlichkeit des 16. Jahrhunderts heranreichen: Es gibt jenseits des Bodensees tatsächlich Bärenputten und somit auch einen Meister der Bärenputten. In Bern natürlich, wo sonst.

Ausstellung in der Pinakothek der Moderne 

Die Rede ist von Jakob Kallenberg, einem Maler und Holzschneider, der vor allem durch Scheibenrisse auffiel. Auch das ist eine Schweizer Spezialität, die sonst nur noch in den angrenzenden Gebieten Süddeutschlands und des Elsass' gepflegt wurde.

Bären als Putten - auf diese Idee muss man auch erst mal kommen. Jakob Kallenberg, der sich hinter dem Meister der Bärenputten verbirgt, hat in Bern gewirkt. Die Bären halten ein Wappenschild vor einer unbekannten Schweizer Stadt. Entstanden ist dieser kuriose Scheibenriss im Jahr 1542.
Bären als Putten - auf diese Idee muss man auch erst mal kommen. Jakob Kallenberg, der sich hinter dem Meister der Bärenputten verbirgt, hat in Bern gewirkt. Die Bären halten ein Wappenschild vor einer unbekannten Schweizer Stadt. Entstanden ist dieser kuriose Scheibenriss im Jahr 1542. © Staatliche Graphische Sammlung München

In der Pinakothek der Moderne sind nun rund 80 Blätter zu sehen, klug zusammengestellt von Kurator Achim Riether. Der Begriff erklärt sich von selbst, denn es geht um Risse, also Zeichnungen, die als Vorlagen für aufwendige Scheiben gedient haben. Diese verglasten Fenster an Privathäusern, Handwerksbetrieben oder Gaststuben - gerne in auffallenden Farben - kamen wie Aushangschilder oder Werbeplakate zum Einsatz.

Scheibenrisse: Vorläufer der modernen Leuchtreklame

Etwas überspitzt könnte man von den Vorläufern der modernen Leuchtreklame sprechen. Denn passend zum Beruf war in das meist sehr aufwendige Bildprogramm ein typisches Symbol eingefügt: beim Bäcker eine Brezn, ein Stierkopf beim Metzger oder für den Müller ein Mühlrad.

Und mit einem Wappen konnte man diesen Auftritt noch weiter individualisieren. Zumal in der Schweiz Wappenfreiheit geherrscht hat, jeder durfte sich sein Wunsch-Emblem zusammenpuzzeln. Die Basler Familie Hummel etwa besorgte das mit dem adäquaten Insekt.

Verdichtung von Episoden aus der Bibel oder der Schweizer Geschichte

Das wirklich Spannende sind freilich die Geschichten, die auf eine Szene verdichtet wurden. Damit tat man ein Lebensmotto kund, oft genug ging es um Moral - wir sind schließlich in der zwinglianischen Schweiz.

Diese Kreuzigung (1625) von Michael Müller hing einst im Zuger Rathaus. Sie zählt zu den wenigen erhaltenen Kabinettscheiben.
Diese Kreuzigung (1625) von Michael Müller hing einst im Zuger Rathaus. Sie zählt zu den wenigen erhaltenen Kabinettscheiben.

Und da boten sich Episoden aus der Bibel an wie zum Beispiel das Gleichnis vom verlorenen Sohn oder der folgenreiche Ehebruch von David und Bathseba. Dazu kamen Allegorien und Ereignisse aus der Antike - oder der Schweizer Geschichte.

Engagement renommierter Künstler: Von Holbein über Murer bis zu Merian

Der Anspruch an die Qualität dieser Kabinettscheiben war enorm, deshalb wurden die renommierten Künstler der Zeit engagiert wie etwa die Holbeins und deren Mitarbeiter, der Zürcher Glasmaler und Illustrator Christoph Murer, der viel zu wenig bekannte Tobias Stimmer, der locker mit den Holbeins mithält, und in der Spätphase dann auch der Kupferstecher Matthäus Merian, der im frühen 17. Jahrhundert ein wichtiger Verleger in Frankfurt werden sollte.

Noch vor der Ausbildung zum Radierer hat Merian um 1607 in Basel eine Glasmalerlehre absolviert. Aus dieser Zeit stammt auch der ihm zugeschriebene Riss mit der Allegorie der Geometria, die mit einem Stechzirkel die Abstände auf einem Globus bestimmt. Als Lehrmeisterin weist sie eine wenig interessierte Männerrunde in ihre Kunst ein, während im Hintergrund vier Kundige mit Lot und Sextant die Höhe eines Turms messen.

Details zeigen Alltagsgeschehen

Solche Details sind kein Einzelfall. Scheibenrisse erzählen gerade im Oberlicht eine Menge über den Alltag. Das reicht von handwerklichen Tätigkeiten bis hin zu Zechgelagen.

Der spätere Verleger Matthäus Merian hat diesen Scheibenriss mit der Geometria 1607 gezeichnet. Abbildungen: Staatliche Graphische Sammlung München
Der spätere Verleger Matthäus Merian hat diesen Scheibenriss mit der Geometria 1607 gezeichnet. Abbildungen: Staatliche Graphische Sammlung München © Staatliche Graphische Sammlung München

Dass auf dem Blatt nur die linke Seite komplett ausgeführt ist, hat ökonomische Gründe. Man vermied unnötige Arbeit. Bei den stets symmetrisch angelegten Scheiben wiederholen sich rechts von der Spiegelachse Architektur und Ornamentik. Die Glaswerker mussten also nur die Füllung duplizieren.

Die Mannheimer Kollektion von Kurfürst Carl Theodor

Dass solche Risse ausgerechnet in München an der Graphischen Sammlung verwahrt werden, hat mit Kurfürst Carl Theodor zu tun. In seiner Mannheimer Kollektion befanden sich etwa 150 Blätter aus einem Basler Werkstattbestand. Und wie so vieles, das heute die Münchner Museen schmückt, sind sie mit dem Besteigen des bayerischen Throns als Mitbringsel in die neue Heimat gereist.

Insgesamt werden rund 300 Scheibenrisse gezählt. Damit besitzt man in München zwar nicht die meisten, allerdings die bedeutendsten Exemplare dieser Kuriosität. Schade nur, dass so wenige Gläser erhalten sind. Doch da war die Aufklärung wieder mal besonders eifrig bei der Sache.


Pinakothek der Moderne, bis 8. Januar 2023, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18, donnerstags bis 20 Uhr

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