Geborgen im Kosmos

Ihre Hände sind ständig in Bewegung. Das ist bei Künstlern nichts Ungewöhnliches, aber bei Kiki Smith auch eine Art Credo. Es geht um das Schaffen im ursprünglichen Sinne, Kiki muss ihr Material greifen, modellieren, variieren, kolorieren, ihm den letzten Schliff verpassen. Und wenn die Amerikanerin vor ihren Arbeiten spricht, dann formt sie dabei jedes einzelne Wort mit ihren schlanken, sehnigen Fingern nach. Auf dem Freisinger Domberg ist es "Mary's Mantle", der eine begehbare Raum- oder besser Kapellenskulptur neben dem Diözesanmuseum bezeichnet. Und an der Wand hängt tatsächlich ein blauer Wollmantel.
Man könnte diesen Umhang - rein theoretisch - vom Haken nehmen, sich in ihn einhüllen und geborgen fühlen, so, wie es seit dem 12., 13. Jahrhundert das Bild der Schutzmantelmadonna vermittelt, auf die sich Kiki Smith bezieht. Sie geht freilich noch einen Schritt weiter und sieht im Mantel zugleich eine Anregung, es der Muttergottes gleich zu tun. Denn es gibt immer jemanden, der der Fürsorge bedarf und schutzlos durch die Welt irrt.
Vier Jahre ist es her, dass die Bildhauerin zum ersten Mal auf den Domberg kam. Durch den Bauschutt musste sie damals stiefeln, habe aber sofort gespürt, dass der Ort "magic" sei. Smith hält sich gerne in Süddeutschland auf, besucht Kirchen, zündet Kerzen an, und ja, sie wollte lange schon eine Kapelle gestalten. Eine simple Schuhschachtel schwebte ihr vor, doch die Lösung von Brückner & Brückner Architekten konnte die 69-Jährige schnell überzeugen: Auf einer quadratischen Grundfläche erhebt sich ein acht Meter hoher Bau, der wie zwei ineinandergeschobene Satteldachhäuser anmutet, aufgemauert aus recycelten Kirchenbibern, in diesem Fall Dachziegeln von der alten Ruhpoldinger Pfarrkirche.
Ganz oben sitzt der Heilige Geist in Form einer goldenen Taube, die man glatt mit der Henne eines bekannten Comiczeichners verwechseln könnte. Bei der zweiten Version für den Innenraum hielt sich Kiki dagegen ans klassische Vorbild einer (silbernen) Taube vor (goldenem) Strahlenkranz. Mit einem Augenzwinkern, möchte man meinen. Die katholisch erzogene Künstlerin bewegt sich nonchalant zwischen christlicher und eigener Ikonographie und destilliert daraus das typische Smith-Universum aus Gestirnen, Pflanzen, Tieren und Menschen, vor allem aber ziemlich vielen Frauen und ziemlich vielen Katzen.
Im Inneren der Kapelle blickt man weit oben durch ein Oval in den Himmel und sieht auf der Fensterscheibe erst einmal den von kristallinen Kratern übersäten Mond in herrlichem Hellblau. Die Glasmalerei ist in der Mayer'schen Hofkunstanstalt in München entstanden, mit der Kiki seit Ewigkeiten eng zusammenarbeitet.
Außerdem müssen Sterne sein, am besten gleich ein ganzer Wirbel. Das schrammt manchmal nah am Kitsch vorbei, hat aber auch einen kleinmädchenhaften Charme, dem man sich kaum entziehen kann. Nach James Turrells Lichtraum und Berlinde de Bruyckeres Skulptur "Arcangelo" ist "Mary's Mantel" bereits das dritte beachtliche Auftragswerk für das vor einem Jahr wiedereröffnete Diözesanmuseum.
Das Schauprogramm macht sowieso sprachlos. Zumal parallel zur Einweihung der Kapelle gleich noch zwei Ausstellungen eröffnet wurden. Die eine wirft einen Blick auf das Leben von "San Francesco", den radikalen wie populären Heiligen aus Assisi, der vor Tieren predigt und als "Ökoapostel" die Schöpfung besingt. Die andere lässt unter dem Titel "Empathy" tiefer in das Werk der Kiki Smith eintauchen. Das reicht von den Zeichnungen und zwei famosen Tapisserien, die die Kreatur in den Kosmos einbeschreiben, über Metallskulpturen - weltumarmende Frauen natürlich - bis hin zu einem Holzsarg, in dem zarte Glasblümchen blühen. Und dann sind da noch Blaudrucke mit Kikis Konterfei, davor liegen kleine Bronzen, die entfernt an Reliquiare erinnern. Dargestellt sind die Hände der Künstlerin. In Bewegung, was sonst.
"Kiki Smith. Empathy" sowie "San Francesco" bis 7. Januar 2024, Di bis So von 10 bis 18 Uhr im Diözesanmuseum Freising, www.dimu-freising.de