"From Samoa with Love": Im Menschenzoo
Eine sehenswerte Ausstellung im Völkerkundemuseum nimmt Völkerschauen im Kaiserreich ins Visier
O, waren die Mädels hübsch! Joachim Ringelnatz hatte sich in die schöne Tautau gleich so dermaßen verguckt, dass ihm der Mund vor lauter Schwärmen überging. Dummerweise bei seiner unscheinbaren, mausgesichtigen Freundin Liddy, die ihn daraufhin verließ. Aber so wie Ringelnatz, der 1910 die Samoa-Schau auf dem Oktoberfest besucht hatte, waren viele angezogen von den „Gestalten aus heller Bronze“, wie sie der Schriftsteller später in seiner Erzählung „Vergebens“ beschreibt.
Völkerschauen waren um 1900 und darüber hinaus ein regelrechter Show-Hit in der westlichen Welt. Das wird nun im Museum für Völkerkunde am Beispiel des südwestpazifischen Samoa aufgefächert. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen – dieses Begaffen Fremder, die im Grunde wie im Zoo vorgeführt wurden, und ihre Bräuche ausbreiten durften. Doch die Völkerschau-Tourneen erreichten vor hundert Jahren ein Millionenpublikum, das begeistert den Geldbeutel öffnete. Mit 50 Pfennig Eintritt reiste man bequem in die entferntesten Regionen des Erdballs. Lernte Menschen und Exotika kennen, die zuvor nur ein paar Weltumsegler und Missionare gesehen hatten. Ein ungemeiner Reiz.
Ein "Platz an der Sonne"
Und auf „harmloser“ ziviler Ebene eine Fortsetzung der großen Politik, die natürlich nicht nur auf Voyeurs- und Amüsiertour gehen, sondern beherrschen wollte. Nach den Engländern und Franzosen, die früh die koloniale Knute geschwungen hatten, verlangten im späten 19. Jahrhundert auch die Deutschen nach einem „Platz an der Sonne“, wie es der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Bernhard von Bülow, 1897 in einer Reichstagsdebatte formulierte. Wobei die Einverleibungen bereits 1884 mit Südwestafrika begonnen hatten. Die „Pazifische Perle“, auf die Kaiser Wilhelm II. ein geradezu romantisches Auge geworfen hatte, kam später hinzu: 1899 wurden die Samoa-Inseln „Schutzgebiet“ des Deutschen Kaiserreichs – und blieben bis zum Ersten Weltkrieg Kolonie. Karikaturen und Postkarten dokumentieren das auf groteske Weise.
Gerne ein Ausflug nach Europa
Als würde der Liebste endlich heimkehren, fällt eine Samoanerin einem Matrosen unter deutscher Flagge heftig busselnd um den Hals – „Hurra! Samoa ist unser!“. Im fernen Europa luden nun exotische Plakate zu Völkerschauen mit „unseren neuen Landsleuten“: einer schlangenumwunden-lockenden Eva im Stil der „Sünde“ von Stuck oder einem samoanischen Krieger vor den deutschen Fahnen. Die Klischees tanzten Ringelreihen, aber das betraf nicht nur die Werbemaschinerie der Völkerschau-Impresarii. Auch Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner oder Erich Heckel schwelgten nur zu gerne in Südseeträumen – „Rudernde Samuanerin“ oder „Samoanischer Tanz“ zeugen davon. Beide Maler haben übrigens ziemlich häufig solche Völkerschauen besucht.
Wobei eine Sache verblüfft: Das Gros der gecasteten Samoaner ging freiwillig und meist gerne mit nach Europa. Neben der Lust am Abenteuer lockte gutes Geld. Bei vertraglich geregelten Arbeitszeiten. Die Brüder Marquardt, beides Ethnologen und Ethnografica-Händler, begleiteten zwischen 1895 und 1911 mehrere Gruppen oft ranghoher Samoaner nach Deutschland und waren 1910 auf der eingangs erwähnten Jubiläums-Wiesn engagiert.
Auch der Prinzregent war da
Sogar der Prinzregent kam zur Vorstellung mit Häuptling Tamasese, der dem Bayern wertvolle Geschenke überreichte – sie sind ausgestellt. Luitpold revanchierte sich mit einem kostbaren Goldring. Tamaseses Nachfahre und Samoas aktuelles Staatsoberhaupt Tui Atua Tupua Tamasese Efi war jetzt auch zur Eröffnung nach München gereist. Was natürlich nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es bei den Völkerschauen insgesamt immer wieder zu grausigen, menschenverachtenden Auswüchsen kam. Der für den Zirkuskönig Barnum tätige Robert Cunningham warb zum Beispiel neun Männer aus Tutuila (Amerikanisch-Samoa) an, von denen im Lauf einer 15-monatigen Tournee sieben an Masern, Mangelernährung und Lungenkrankheiten starben. Die beiden letzten konnten fliehen und mit dem Geld einer Berlinerin nach Hause gelangen.
Man muss einfach genau hinsehen, fein differenzieren, auch das zeigt die Ausstellung im Völkerkundemuseum mit dem mehrdeutigen Titel „From Samoa with Love“. Kuratorin Hilke Thode-Arora hat jahrelang Spuren verfolgt, Nachkommen ausfindig gemacht, Briefe analysiert, die spannend zu lesen sind und vieles in einem anderen, oft genug überraschenden Licht erscheinen lassen. Und schön: Die Ausstellung geht mit all ihren „Familien“-Dokumenten noch in diesem Jahr nach Samoa. Dort wird sie von äußerst traditions- und stammbaumbewussten Menschen erwartet.
"From Samoa with Love" - bis 5. Oktober 2014 im Völkerkundemuseum, Maximilianstraße 42, Di bis So 9.30 bis 17.30 Uhr
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