"From Mystic to Plastic": Traditionelles Recycling im Museum Fünf Kontinente
Wie eine weiße Wolke steht der Plastikbecher-Mann vor einem Haufen Schrott. Der Mensch ist unter Hunderten gebrauchten weißen Plastikbechern nicht mehr zu sehen.
Der Kontrast von Figur und Umgebung, von fataler Haltbarkeit des Materials und Vergänglichkeit im Nutzen ist dabei von irritierender Faszination. Das Kunstkollektiv Ndaku ya ("Das Leben ist schön") um Eddy Ekete Mombasa recycelt in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo Kinshasa den Müll, der aus der ganzen Welt in Afrika landet und den Untergrund ganzer Stadtviertel bildet, für die ebenso aufwändig gefertigten wie ausdrucksstarken Masken-Kostüme ihrer politisch motivierten Performances im öffentlichen Raum.
Bildreporter Gladieu verbrachte viele Monate in West- und Zentralafrika
Der französische Fotograf und Bildreporter Stéphan Gladieu hat die Kunst-Aktivisten für seine Serie "L'Homme Détritus" aufgenommen. Das Museum Fünf Kontinente präsentiert die Lichtbilder jetzt in Gegenüberstellung mit Gladieus zweiter Foto-Serie "Egungun" aus der Republik Bénin unter dem Titel "From Mystic to Plastic".
Zwei völlig unterschiedlich motivierte Formen von Maskerade stehen im Fokus seiner Arbeit, für die er zwischen 2018 und 2021 viele Monate in West- und Zentralafrika verbrachte. Die durchwegs männlichen Maskentänzer des Egungun-Geheimbundes vollziehen ihre Voodoo-Rituale vollständig verhüllt in aufwändig bestickten Gewändern und teils mit hölzernen Kopf-Aufsätzen.
Sie changieren zwischen Geist und Gottheit und agieren in den Familien der Yoruba als Medium und Mittler zwischen den Lebenden und ihren Ahnen. Gladieu unterzog sich selbst einer Initiation, um bei verschiedenen Ritualen mit der Kamera präsent sein zu dürfen.
Die kaum beherrschbaren Abfallströme verlaufen vor allem von Nord nach Süd
Mit Voodoo-Kult haben die Performer von Ndaku ya nichts zu tun. Dennoch dürften ihre Auftritte nicht zuletzt deshalb wirkungsvoll sein, weil sie in einer langen Tradition stehen. Gladieu versteht es, die Wohlstandsmüll-Mutanten effektvoll in Szene zu setzen.
Ob Plastikmüll oder Elektronikschrott, Altkleider oder Altmetall: Die kaum beherrschbaren Abfallströme verlaufen vor allem von Nord nach Süd. In Kinshasa ist, wie Gladieu berichtet, der Boden vieler Slums inzwischen tiefgreifend mit Abfällen durchsetzt. Daher auch der Name "Homo Détritus", den der Fotograf für die Serie schuf: Detritus ist die faulige Masse, die beim Zerfall von Organismen freigesetzt wird.
Das geopolitische Paradox, dass der Großteil der Menschen in einem der an Bodenschätzen reichsten Länder der Erde in großer Armut lebt, ist auch in der DR Kongo Realität. Nach Jahrhunderten brutaler Ausbeutung, Misswirtschaft und Korruption ist das Land politisch und gesellschaftlich zerrüttet. Gladieus Foto-Inszenierungen zeigen einerseits den katastrophalen Zustand weiter Teile der 16-Millionen-Metropole Kinshasa. Andererseits auch die imponierende kreative Energie, Kunstfertigkeit und Geduld der Künstler und Künstlerinnen.
Ob der düstere Reifen-Mann mit Walle-Gewand aus schwarzen Streifen zerschnittener Pneus vor gelber Wand, an dem man das Schriftfragment "E-Auto" lesen kann, oder die Ritter-artige Gestalt in Rasierklingen-Rüstung vor einem abgewetzten Portal. Ob der "Rubber-Man" aus schwarzen Rohren inmitten einer riesigen Pfütze, das verblichen-bunte, bizarre Flipflop-Wesen oder der grausige Puppen-Mann, zusammengesetzt aus lauter mit roter Farbe überzogenen Köpfen und Gliedmaßen von Puppen: Sie alle sind erschreckend real und wie geschaffen, demnächst in unseren Alpträumen zu erscheinen.
Museum Fünf Kontinente, bis 6. August, Di - So 9.30 bis 17.30 Uhr
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