Franz Wanners Beitrag zu "Departure Neuaubing": Gegen die Weichspülerei

München - Am Anfang steht die "Eingangspforte in die Erinnerung": Von hier aus nimmt uns Franz Wanner in dem Film "Mind the Memory Gap" mit auf einen Trip in Münchens NS-Vergangenheit. Der Münchner Künstler (geboren 1975) schuf ihn für das digitale Vermittlungsprojekt "Departure Neuaubing" des NS-Dokumentationszentrums, das der 2025 geplanten Eröffnung des Gedächtnisortes vorausgeht.
Franz Wanner schuf Film "Mind the Memory Gap"
Die acht erhaltenen Baracken an der Ehrenbürgstraße dienten als Unterkunft für bis zu 1.000 Zwangsarbeitende, die im Reichsbahnausbesserungswerk schuften mussten: vor allem Russen, später auch Italiener, und darunter auch Kinder. Und in Neuaubing befand sich ein weiteres großes Lager - für jene, die bei Dornier Zwangsarbeit leisteten: rund 2.000 Menschen, darunter ein Teil KZ-Häftlinge aus Dachau. Anstelle dieser Behausungen befindet sich heute eine Wohnsiedlung. Die Flugzeugfirma Dornier ging - über mehrere Zwischenschritte wie Daimler/DASA/EADS - auf in der Airbus Defense and Space.
Umgang deutscher Unternehmen mit der NS-Geschichte als Ausgangspunkt
"Der Umgang vieler deutscher Unternehmen mit der NS-Geschichte" sei, so Wanner, Ausgangspunkt seiner aktuellen Arbeit. "Als Verschweigen nicht mehr ging, setzte man oft auf bezahlte Auftragsstudien, mit passiver Rhetorik, Auslassungen, Beschönigungen."
Das greift sein Film auf und dreht es weiter. "Könntest du es insgesamt noch ein bisschen freundlicher machen, sag statt ‚Zwangsarbeit' besser ‚nicht immer nur freiwillige Arbeit', das klingt nicht so deprimierend." Die Stimme aus dem Off hat eine klare Vorstellung, wie man Firmenhistorie so aufbereiten kann, dass sie zum "erlebnisreichen Informations-Flow" wird. Volkstheater-Schauspielerin Mara Widmann gibt die Anweisungen dem Tour-Guide in "Mind the Memory Gap", gespielt von Julia Franz Richter.

Wanner inszeniert die Führung am Originalschauplatz als irritierend realistische Zuspitzung. "Wir müssen die historische Kommunikation zukunftsfähig gestalten", fordert die Stimme aus dem Off forsch. Das heißt, die Fakten werden so lange weichgespült, bis kaum kenntlich ist, dass es eindeutige Opfer und Täter gab.
Franz Wanner als investigativ arbeitender Künstler
Spätestens seit den Recherchen für die Installation "Dual-Use" im Lenbachhaus 2016 zur militärischen und zivilen Nutzung von Technologie ist Wanner als investigativ arbeitender Künstler bekannt.
Im Kurzfilm "From camp to Campus" greift er die von "Dual-Use" ausgelöste Anfrage der Grünen im Landtag auf, die seit 2013 die militärische Forschung an Bayerns Universitäten im Visier haben. Auch dieser Film steht bei "Departure Neuaubing" im Netz.
Damit zieht der Künstler den Bogen zu einem weiteren Zwangsarbeiterlager im Umland. Es besteht dort allerdings derzeit wenig öffentliches Interesse, daran zu erinnern: In Ottobrunn war von 1940 bis 1945 die "Luftfahrtforschungsanstalt München" ansässig, in der ebenfalls Häftlinge eines KZ-Außenlagers als auch Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit eingesetzt waren.
Heute ist hier nicht nur Standort von Airbus, hervorgegangen aus einem Konglomerat von Rüstungsunternehmen (neben Dornier u.a. Messerschmitt-Bölkow-Blohm). Sondern auch von "Bavaria One", Bayerns neuem Raumfahrtprogramm.
Wanner konnte Aufnahmen von den Schächten machen
Das KZ-Außenlager gibt es nicht mehr, auch hier wurde nach dem Krieg eine Wohnsiedlung gebaut. Aber ein paar hundert Meter vom Ludwig-Bölkow-Campus der TU an der Willy-Messerschmittstraße entfernt liegen im Wald noch Fundamente und Kellerräume des einstigen Kriegsgefangenenlagers, in dem einige hundert Menschen untergebracht waren.

Weil das Areal in Privatbesitz ist, sind Dokumentation und Erhalt der Bausubstanz kein Thema. Wanner konnte 2019 noch Aufnahmen von Betonsockeln und zugeschütteten Schächten machen, ehe der Besitzer begann, sie rauszureißen. Unklar ist, was noch vom Bodendenkmal erhalten ist.
Während am Gymnasium Ottobrunn dank engagierter Lehrer und Schüler seit Jahren die Aufarbeitung der lokalen Geschichte stattfindet, sind weder Staat noch Kommune an der Dokumentation, geschweige denn am Erhalt interessiert. Amtlich gehört das ganze Gebiet zur Gemeinde Taufkirchen. Dort lehnte man 2015 auch die Umbenennung der Willy-Messerschmitt-Straße ab, die Grüne und SPD forderten.
Franz Wanner hebt als wichtige Quelle für die im Abriss begriffenen Relikte des Zwangsarbeiterlagers die Facharbeit des Ottobrunner Abiturienten Martin Wolf hervor. Er arbeitete das Thema 1995 unter dem Titel "Im Zwang für das Reich" akribisch auf; leider ist er jung verstorben. Doch Wanner sorgt mit seinen Recherchen dafür, dass das gesammelte Wissen über die braune Vergangenheit des Standorts Taufkirchen/Ottobrunn nicht im weißblauen Gewölk von Bayerns Space-Ambitionen untergeht.