Fotodokumentation einer vergangenen Welt
München - Was sind Gebäude anderes als Hüllen? Gehäuse, die man so oder so füllen kann? Wenn die einen gehen, kommen die nächsten – das ist praktisch und im Sinne der heute so gepriesenen Nachhaltigkeit nur konsequent. Bei geweihten Räumen beschleicht uns dann aber doch ein eigentümliches Gefühl.
Dass Napoleon auf seinen Eroberungszügen durch Europa Kirchen gerne mal als Pferdeställe nutzen ließ, nimmt man auch heute noch, in wenig klerikalen Zeiten mit einem gewissen Befremden zur Kenntnis. Genauso, wenn in einer alten Synagoge Basketball gespielt wird. Oder sich der Raum des Gebets in einen blümchenüberzogenen Frisiersalon mit Trockenhauben und Spiegeln verwandelt hat, in eine Textilfabrik voller Nähmaschinen, in Rumpelkammern und Warenlager – oder eine Brauerei.
Johanna Diehl hat ein Auge für solche Wandlungen. Weniger, weil sich dadurch oft genug kuriose bis absurde Konstellationen und (Raum)Kompositionen ergeben. Vielmehr sucht die Künstlerin nach Orten, an denen sich Geschichte manifestiert.
Synagogen als Ort des Wandels
Im Konkreten bedeutet das Untergang und Verfall, manchmal sogar Bewahrung und häufig Überformung. Ihre Aufnahmen ehemaliger Synagogen der Ukraine geben ein erstaunliches Zeugnis ab von solchen Prozessen. Vor zwei Jahren ist diese Fotodokumentation „Ukraine Series“ entstanden, Auszüge sind nun in der Pinakothek der Moderne zu sehen.
Dass in diesen Räumen aus der Thora gelesen wurde, ist lange her. Angetrieben von der religionsfeindlichen Politik der Sowjetunion kam es gleich nach dem Ersten Weltkrieg zu den ersten Enteignungen. Die ehemaligen Synagogen wurden profanen Nutzungen zugeführt, das reichte vom Kino bis zum Sportclub.
Juden, die gemeinsam beten wollten, trafen sich fortan im privaten Rahmen – bis 1941, während der deutschen Besatzung, die Gemeinden systematisch vernichtet wurden. Das macht die Entweihung dieser heute meist bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten Sakralräume umso beklemmender. Oft wissen die neuen Nutzer übrigens gar nicht, wo sie ihrem Handwerk nachgehen, ihrem Sport, ihren merkantilen Geschäftigkeiten.
Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch hat solche Beobachtungen und überhaupt Gedanken zu diesen Wandlungen in eindringlichen Texten zusammengefasst, die dem Künstlerbuch zu Johanna Diehls Fotografie-Folgen beigefügt sind.
In ihrer Serialität lassen dieser Dokumentationen natürlich an die Becher-Schule denken, an Thomas Struth und Candida Höfer. Johanna Diehl bringt die politisch-historische Eben ins Spiel, die kulturgeschichtliche Dimension, die Schicksale durchlugen lässt. Und da ist sie im allerbesten Sinne beeinflusst von ihrem Lehrer Timm Rautert, der das Soziale immer im Blickfeld hat. Im Gegensatz dazu zeigen Diehls Arbeiten keinen einzigen Menschen, dafür jedoch ihre deutlichen Spuren. Die neuen wie auch die alten aus besseren Tagen.
Ukraine Series, bis 6. März in der Pinakothek der Moderne, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr; Künstlerbuch (Sieveking Verlag) 49,90 Euro
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