Flatz bleibt unversteigert

Am Ende stand er splitternackt auf einer Drehscheibe. Flatz verzog keine Miene, hielt stoisch still, damit auch ja jede seiner Tätowierungen zu sehen war. Was das sollte? Der Spuk war doch längst vorbei, die Auktion seiner Haut abgeblasen. Jede einzelne Bemalung wollte der Aktionskünstler versteigern lassen, live in der Pinakothek der Moderne: erst durch Fotografien und damit verbunden auch das Original nach dem Ableben. Testamentarisch verfügt.
Ein Schweizer Sammler hatte (fast) alles in einem Aufwasch erworben. Den ganzen Flatz sozusagen, vom Hals bis zu den Knöcheln. Wahrscheinlich aber wurde die Sache dem Auktionshaus Christie's doch zu heiß, der rettende Käufer kam also wie (an)gerufen. An den Staatsgemäldesammlungen lagen die Nerven ohnehin seit Tagen blank, deshalb wollten die Reden über die großen Aufreger der Kunstgeschichte und die Freiheit der Kunst so schnell nicht enden. Und Flatz schürte die Sensationsgier mit unsäglichen Ausführungen über die Verarbeitung seines 13. Tattoos, respektive der entsprechenden Hautpartie zum Lampenschirm für den eigenen Sohn und zog damit - reichlich naiv - das zynischste Register seiner Provokationsorgel.
Durch die Boxsäcke
Oder war es doch Kalkül? Wohl kaum. Allerdings ging die mediale Rechnung auf. Flatz war wieder auf allen Kanälen, und die Pinakothek wurde zur Eröffnung regelrecht gestürmt. Zwar verzogen sich vereinzelte Schaulustige nach dem großen Bluff, die Mehrzahl stand dagegen geduldig Schlange, um in die Ausstellungsräume zu gelangen. Und das hat sich nicht ganz einfach gestaltet.

Der Eingang ist mit 26 Boxsäcken aus Leder verhängt, es braucht schon Geschick, um die 60 Kilo schweren Hindernisse zu umgehen und sich durchzuschlängeln. Kraft einzusetzen, bringt nichts, bremst sogar. Insofern ist dieser "Bodycheck" ein eindrucksvoller Auftakt, um sich des eigenen, durchaus eingeschränkten Körperpotenzials gewahr zu werden. Flatz hat die Arbeit um einiges umfangreicher für die Documenta IX konzipiert, ein Drittel der Säcke tut's genauso, um das Zusammenspiel von Masse und Macht erfahrbar zu machen.
Der Künstler als Glockenschwengel
Und dann ist man auch gleich mit einer der härtesten Performances des ewigen Schmerzensmannes konfrontiert: In der Silvesternacht 1990/91 ließ sich Flatz in der Synagoge von Tiflis zwischen zwei Stahlplatten aufhängen, um kopfüber wie ein Glockenschwengel hin- und herzuknallen. Man kann sich das kaum ansehen, nie war der begleitende Strauß-Walzer "An der schönen blauen Donau" so unerträglich lang und so sehr zur Farce mutiert. Vielleicht auch, weil die vorgeführte Foltermethode aus dem alten Zarenreich und überhaupt das bestialische Quälen gar nicht mehr so fern ist, wie wir uns das eingebildet haben?
Mit Halbheiten gibt sich der in Vorarlberg aufgewachsene Wolfgang Flatz sowieso nicht zufrieden. Es muss immer das volle Programm sein: der eigene, in einen Teppich eingewickelte Körper, auf den die Akademiekollegen trampeln, die echten Dartpfeile, denen er sich aussetzt, und das eigene Blut, mit dem er sich zum geschundenen Passions-Christus in Kreuzanordnung stilisiert. Das steigert den Thrill, damit bewegt er sich natürlich auch im Radius der Wiener Aktionisten und rührt an Tabus.
Es geht männlich zu
Das beginnt mit einer Schwarz-Weiß-Fotografie des wieder mal nackten Künstlers, der mit Krücken samt Beinbandage an einen Kriegsversehrten erinnert, und endet in einem Triptychon, mit dem er vor dem großen Francis Bacon den Hut zieht: Ein an der Glasknochenkrankheit leidender Freund zeigt sich mit all den qualvollen Verformungen, die dieses Stigma mit sich bringt.

Und dazwischen? Knallige Memento mori wie die durch diverse Filter geschickten Smartphone-Schnappschüsse aus der Kapuzinergruft in Palermo, dann Flatz in täuschend echter Silikonkopie mit sämtlichen Tattoos, Äderchen, Poren - und heiße Reifen: Zeusgattin Hera und Hades, der Herrscher der Unterwelt, posieren in Form von mächtig aufgedonnerten Motorrädern. Swarovski-Kristalle triumphieren über das raue Bärenfell der Höllenmaschine. Wenn es darauf ankommt, könnte das Rennen leicht anders ausgehen. Und Glanz und Gloria waren noch nie von ausgeprägter Dauer.
Aus einem fies durchlöcherter BMW namens "Luzi" leuchtet Licht, das ist ein Eyecatcher, und der mintgrüne Porsche Strosek 928 "besteigt" noch vor den Toren der Pinakothek ein tiefrotes Kuschelsofa. Klar, die Blondine mit ihrem Kirschmund hat es doch auch gewollt. Und mit Unfällen muss man im Testosteronrausch ganz einfach rechnen.
Das ist unterhaltsam, manchmal schlicht aus der Zeit gefallen, zwischendurch rasend aktuell - und doch häufig zu plakativ. Mit einem Hammer über der Schulter hat sich Flatz 1990 abbilden lassen. Der rumpelt wie ein Leitmotiv durch dieses Werk, zugleich ist sich der 71-Jährige bis heute für keine Tortur zu schade. Es gibt aber auch den einfühlsamen Menschenfreund, der sich in seiner Kunst gerne etwas mehr in den Vordergrund trauen dürfte. Das tut gar nicht so weh.
"Something Wrong With Physical Sculpture", bis 5. Mai in der Pinakothek der Moderne, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Ein Katalog erscheint gegen Ende der Ausstellung bei Prestel