Faszinierende Ausstellung im Museum Brandhorst: Zwischen Mensch und Maschine

Künstliche Herzklappe, Hüftgelenk aus Titan, Chip unter der Haut - dank Medizintechnologie sind wir längst Cyborgs - oder schon Androiden? Die neuen Möglichkeiten verschieben den Tod und verändern unsere Vorstellung von Leben. Die Schnittstelle Mensch-Maschine bietet Chancen und Risiken, Faszination und Horror.
Eindrucksvolle Wiederentdeckungen wie Joachim Bandau und Shu Lea Chang
Die Ausstellung "Future Bodies from a Recent Past - Skulptur, Technologie, Körper seit den 1950er Jahren" im Museum Brandhorst konzentriert sich jetzt auf wesentliche Aspekte des Themas in der Kunst.
Patrizia Dander und Franziska Linhardt haben die Schau pointiert, aber nicht lückenlos kuratiert. Sie präsentieren - chronologisch und thematisch gruppiert - hundert Werke von 60 Künstlerinnen und Künstlern; davon zehn aus den eigenen Beständen und 90 internationale Leihgaben.
Etwa von Eva Hesse, Louise Bourgeois und Matthew Barney, dazu eindrucksvolle Wiederentdeckungen wie Joachim Bandau und die New Yorkerin Shu Lea Chang. Einen Körperkunst-Klassiker mit München-Bezug wie Valie Exports "Tapp-und Tastkino" sucht man hingegen vergebens, auch Maria Lassnig bleibt außen vor.
Atsuko Tanakas "Elektrisches Kleid" strahlt Glamour, Geborgenheit und Gefahr aus
Von klinisch-abwischbar zu bizarr und eklig ist sonst alles dabei: Auf zwei Etagen bietet das Museum Brandhorst einen Überblick über sieben Jahrzehnte in den USA, Europa und Japan, mit Schwerpunkt auf Skulptur und Installation.
Den Auftakt bildet Pavel Althamers Mixed-Media-Figurengruppe "Brodno People": Unbeirrt und ahnungslos geht sie mit dem Fortschritt - ausgestattet mit Zivilisationsmüll und Space-Junk. Gegenüber wirkt Bruno Gironcolis Aluminium-Mutant "Baby auf drei Beinen" wie eine Warnung.
Im Kapitel "Nachkriegs-Figuration" steht man zwischen Edoardo Paolozzis Technikschrott-"Cyclop" und Germaine Richiers geschundener Bronze-Kreatur "Le Griffu". Und nebenan blinkt Atsuko Tanakas "Elektrisches Kleid" von 1956, das Glamour, Geborgenheit und Gefahr ausstrahlt.
Melvin Edwards Wand-Plastiken aus Stahl erscheinen wie Folterinstrumente und verweisen etwa auf Lynchmorde an Sklaven in den USA; daneben wirken Nancy Grossmans Fetisch-Masken wie die Ausrüstung der Folterknechte. Da ist der Körper Opfer und Mahnmal zugleich.
"Kleines Mädchen": Baumelnder Phallus mit absichtlich irreführendem Titel
In Kapitel "Zergliedert" wird der Leib seziert und in Fragmente zerlegt wie in Paul Theks Plexiglas-Reliquiaren und Alina Szapocznikows vermeintlichen Genital/Organ-Moulagen. Oder schnöde reduziert wie Bourgeois' baumelnder Phallus mit dem absichtlich irreführenden Titel "Kleines Mädchen".
Kaum organisch, aber nicht minder irritierend sind Joachim Bandaus Zwitter aus Figur und Objekt: Aus Badarmaturen und Teilen von Schaufensterpuppen baute er aalglatte Installationen - unheimlich ästhetisch. Eine Foto-Wand erinnert daran, dass das Publikum bereits 1966 dazu eingeladen war, Niki de Saint-Phalles Riesen-Nana "Hon" durch die Vagina zu betreten.
Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Körper bleibt ein zentrales Frauen-Thema
Jahre später machte sie öffentlich, dass sie als Elfjährige von ihrem Vater vergewaltigt worden war. Seither schaut man anders auf ihre bunten Frauen. Aus den 1960er Jahren stammen überhaupt viele ausdrucksstarke, feministische Kunstwerke, etwa "Little TV-Woman. I Am the Last Woman Object" von Nicola L. von 1969 - ein Möbelstück in Gestalt einer durch den Zweck deformierten Frau.
Dass der Anteil an Künstlerinnen hoch ist, liegt vermutlich auch daran, dass die Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Körper ein zentrales Frauen-Thema bleibt. Und der Zwang zum perfekten Body ist im Zeitalter des InfluencerInnen-Absolutismus für junge Mädchen trotz Gegenbewegungen stärker denn je. Aber natürlich kommen auch nicht heteronormative, queere Körper vor, etwa in Ashley Hans Scheirls "Film "Dandy Dust" oder bei Robert Gober und dem an AIDS verstorbenen Felix Gonzalez-Torres.

Video-Skulptur: Tony Oursler wird zu selten gezeigt
Das größte Exponat ist indes die Brandhorst-Neuwerbung "UniAddDumThs" von Mark Leckey. Seine Schau-Installation fügt in den Sektionen "Mensch", "Maschine", "Tier" Artefakte - Kunst und High-Tech - aus drei Jahrtausenden zusammen. Dazwischen bewegt sich kaum merklich eine mannshohe weiße Form durch den Raum. "Float" von Robert Breer ist nichts als ein oben abgerundeter Zylinder - und wirkt in seiner Langsamkeit freundlich-beseelt.
Vom Kreatürlichen weit entfernt ist man auch im Kapitel "Vernetzte Körper". Die Video-Skulptur "Wir haben keinen freien Willen" des leider zu selten gezeigten Tony Oursler besteht aus zwei Püppchen, auf die Gesichter projiziert werden, im Diskurs.
Nicht zuletzt angesichts des humanoiden Roboters in Stephanie Dinkins' Video-Installation "Conversations with Bina48" kommt man da über die "Future Bodies" schwer ins Grübeln: Ob als Ergebnis des Anthropozän die Androiden siegen - oder wir doch schon vorher untergehen?
Bis 15. Januar 2023, Di - So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Katalog 44 Euro