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Fahrrad-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne: Kult auf die rasante Tour

In ökobewussten Zeiten sind Fahrräder das Vehikel der Wahl. Dass mit der Draisine auch ein spannendes Kapitel Design-Geschichte begonnen hat, zeigt eine famose Schau in der Pinakothek der Moderne.
von  Christa Sigg
Beim japanischen Motorradhersteller Togashi hat man diesem Höllengefährt aus Carbon 1989 gleich ein futuristisches Design verpasst.
Beim japanischen Motorradhersteller Togashi hat man diesem Höllengefährt aus Carbon 1989 gleich ein futuristisches Design verpasst. © Neue Sammlung, Leihgabe Reiner Balke

München — Wahrscheinlich ist das Fahrrad einfach zu klein, um damit im großen Stil Eindruck zu schinden. Man muss sich schon gut auskennen, um dem eher schmalen Gestell anzusehen, wenn tatsächlich viel Geld drinsteckt. Dagegen braucht man bei einem Auto noch nicht einmal motoraffin zu sein, um bereits aus der Ferne die ganz dicke Hose zu wittern. Selbst in unseren ökobewussten Zeiten wird es – trotz der Eurobike in Frankfurt – weder einen Pariser Fahrradsalon noch eine Tokyo Pedal Show geben, auf der die neuesten Edel- und Hightech-Räder wie goldene Kälber umtanzt werden. Und das ist gut so!

Reise durch die Geschichte des Fahrrads

Denn Fahrräder entwickeln viel raffiniertere Reize. Das betrifft zum einen die technische Seite und mindestens genauso die Gestaltung. Und damit sind längst nicht nur die geschmackvoll minimalistischen Carbon-Gazellen gemeint, die nach jedem Ausflug mit nach oben ins sichere Loft müssen. Das ist die erste Überraschung der neuen Fahrrad-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne. 

Die optische Attraktivität beginnt bereits mit Karl Friedrich von Drais‘ Laufmaschine. Man muss sie nur genauer betrachten, dann geht es einem wie Josef Straßer von der Neuen Sammlung. Der Kurator und professionelle Liebhaber gelungener Formen wollte partout keine Geschichte des Fahrrads erzählen. Dafür gibt es Technik-Museen, zumal der 200. Geburtstag der Draisine 2017 unzählige Überblicksschauen bescherte. Allerdings hat die Erfindung des badischen Forstbeamten durch ihre Schlichtheit und die klar ablesbaren funktionalen Details überzeugt. Vom ledernen Sattelsitz und den gepolsterten Brettchen für die Arme bis hin zu den langen Schrauben, mit denen man das Gefährt der Körpergröße anpassen kann.

"belle figure" mit dem Hochrad

Todschick wurde es in den 1870er Jahren mit den mechanisch äußerst präzisen Hochrädern von Eugène Meyer. Damit konnte man in Paris „belle figure“ machen, so kunstvoll waren die Kurbeln und Stahlzüge gestaltet, dazu gab es Holzgriffe und ein Glöckchen. Wobei Letzteres vermutlich erst beim Sturz zum Klingen kam, denn die Fahrer fielen häufig vornüber.

Dann geht es Schlag auf Schlag, vom Sicherheitsniederrad des Kärntner Schlossers Josef Erlach (1880) – das große Rad wechselte nach hinten – zum Kreuzrahmenrad der Neckarsulmer Strickmaschinen-Fabrik mit Kettenspannmechanismus (1888). Das kommt dem heutigen Velo schon sehr nahe, die Variationen sind bei zwei Rädern, zwischen denen man irgendwie sitzend treten soll, ja doch begrenzt. Gleichwohl gibt es immer wieder Sonderfälle, die ins Auge stechen.

Ausgerechnet in der französischen Waffenfabrik Manufrance haben sich (vermutlich) die Brüder Gauthier um 1889 von Kreisen und Halbkreisen inspirieren lassen. Beginnend an der Nabe des Hinterrads schwingt sich ein markantes C oder eine Mondsichel nach oben und läuft beim „Hirondelle Superbe“ in einen lässigen Sattel aus. Die Sitze sind Ende des 19. Jahrhunderts zwar gefedert, aber nicht wirklich komfortabel. Dass der dänische Schmied Mikael Pedersen stattdessen 1893 eine kleine Hängematte spannt, ist allzu verständlich. Vor allem hat der 1888 vom Tierarzt John Boyd Dunlop erfundene Luftreifen das Holpern auf der Straße extrem reduziert.

Damit war die Marsch- oder besser die Rollrichtung für das 20. Jahrhundert ausgemacht: Bequem sollten die Fahrräder sein, leicht und stabil. Das bringt mit der Zeit Bambus, Aluminium, Kunststoff, selbst teures Titan und schließlich das angesagte Carbon mit seinen schier grenzenlosen Möglichkeiten ins Spiel – und endet mit ganz aktuellen 3-D-gedruckten Rahmen, die noch etwas für Freaks sind. Auch was das Aufhübschen anbelangt.

Die Optik gerät bei Tüftlern gerne in den Hintergrund und ergibt sich manchmal doch wieder aus den Anforderungen. Zum Beispiel, wenn Aerodynamik gefragt ist und die Tests im Windkanal für wohltuende Reduktionen sorgen. Denn freilich beflügelt gerade auch der Rennsport die Entwicklung toller Bikes. Gustav Linds Anker-Sichelrad von 1933 besticht bis heute durch seine rasante Eleganz und hat 1936 für einen Rekord gesorgt: In 31 Tagen legte der Dortmunder Ewald Kaufhof damit phänomenale 7363 Kilometer zurück. Der Rennrad-Hype der 70er und 80er hat also ein schönes Vorspiel. Denn wer die Tour de France oder den Giro d’Italia verfolgte, wollte auf Vergleichbarem die Freizeit flott verbringen.

Tour de France und Giro d'Italia

Apropos Tour de France: Ottavio Bottecchia war 1924 er erste Italiener, der diesen Wettbewerb gewann und kurz darauf die gleichnamige Fahrradfabrik gegründet hat. Deren Renn- und Tourenräder sind zur begehrten Ware geworden und die ausgestellte Zeitfahrmaschine „Bottecchia Air“ von 1987 der Höhepunkt des windschnittigen Designs aus Stahlrohr – mit tropfenförmigem Profil und Aero-Zwickeln in den Verbindungen.

Mehr ging nicht mit diesem Material, aber dann schlug auch schon die Stunde des Carbons. Beim japanischen Motorradhersteller Togashi war man zudem klug genug, dem neuen Rahmen ein futuristisches Design zu verpassen und das Ganze 1989 gleich noch feuerrot zu präsentieren. Alles wirkt wie aus einem Guss, Dreiecks- und Kreisformen sind perfekt ausbalanciert, und oben drauf sitzen Lenker und Sattel in Schwarz. Ein Höllending, das die faden und radlfeindlichen (Zwischen)Phasen sofort vergessen lässt.

Modelle mit rührendem Retro-Flair

Wobei Bonanzaräder mit Wimpeln und Fuchsschwanz – sie gehören ebenso zur chronologisch sehr locker präsentierten Runde – im Rückblick schon wieder etwas Rührendes haben. Womöglich, weil einem die Vokuhila-Nachbarsbuben bereits damals nicht annähernd so cool vorgekommen sind, wie sie sich gegeben haben, und man das jetzt vor der „Super de Luxe“-Neckermann-Version von 1972 endgültig realisiert.

Die Moden ändern sich. Auch wenn sie immer wieder kommen wie zum Beispiel in Form von Holzrädern. Oder mit dem ungemein praktischen Klapprad, das in der S-Bahn ein Segen ist, aber erst durch den britischen Designer-Ingenieur Mark Sanders Klasse erhalten hat. In gefaltetem Zustand ist es so angenehm wie ein Reise-Trolley zu rollen.

Wer diese oft erstaunlichen Fundstücke aus sehr speziellen Sammlerkreisen sieht und unter den Leihgaben aus dem Deutschen Fahrradmuseum Bad Brückenau Raritäten wie ein Nachkriegsmodell aus gebrauchten Flugzeugteilen entdeckt, vermisst weder Lastenräder noch E-Bikes. Bis auf zwei, drei Exemplare mussten die gewichtigen Stromfresser sowieso draußen bleiben, und das geht schwer in Ordnung. Ihre Gestaltung lässt meistens zu wünschen übrig. Sehr sogar.

Dass jetzt aber in der heiligen (Pinakotheks)Halle der Mobilität eine Reihe exquisiter Fahrräder den Autos und Motorrädern gegenübersteht, ist längst überfällig und sollte über diese grandiose Radlschau hinaus auch so bleiben.


"Das Fahrrad. Kultobjekt - Designobjekt" bis 24. September 2023 in der Pinakothek der Moderne, Neue Sammlung, Di bis So 10 - 18, Do bis 20 Uhr

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