Etel Adnans Werk: Das Licht malen

Das Werk der Malerin und Dichterin Etel Adnan im Lenbachhaus-Kunstbau.
von  Roberta De Righi
Etel Adnan 1973 in der Türkei.
Etel Adnan 1973 in der Türkei. © Simone Fattal/Courtesy Galerie Lelong

München - Die Sonne geht in ihren Bildern so oft und strahlend auf, dass man bei der Betrachtung einen ungeheuren Energieschub spürt. Jetzt ist das vielgestaltige Werk der libanesischen Malerin, Dichterin und Denkerin Etel Adnan (1925-2021) in ganzer Fülle im Lenbachhaus-Kunstbau zu sehen – in der ersten großen Einzelausstellung in Deutschland mit rund 160 Exponaten.

Plötzlich berühmt

Mit einem Schlag international berühmt wurde Adnan 2012 durch die documenta 13, im Alter 87 Jahren. Während der Vorbereitungen zur Münchner Präsentation ist die Allround-Künstlerin im November 2021 mit 96 Jahren in Paris gestorben. Sie malte und zeichnete, schrieb Gedichte, Romane und war dabei stets politisch engagiert.

Diese unbetitelte Anstraktion von Etel Adnan entstand 1965.
Diese unbetitelte Anstraktion von Etel Adnan entstand 1965. © Foto: Nicolas Dewitte

Kolonialismus-Chaos

Als Kind einer griechischen Mutter und eines syrischen Vaters, die sich in Smyrna (heute Izmir) kennengelernt hatten und 1923 nach dem Ende des Osmanischen Reiches nach Beirut geflohen waren, erfuhr Etel Adnan am eigenen Leib, welches Chaos der Kolonialismus der Briten und Franzosen im Nahen Osten angerichtet hatte.

Werke auf 60 Schaffensjahren

In der Schau zu sehen sind viele kleinformatige Gemälde und Zeichnungen aus 60 Schaffensjahren, dazu ein paar großformatige Wandteppiche, deren Entwürfe Adnan erst in den letzten Jahren realisieren konnte. Einzigartig sind ihre mit Aquarellen und zum Teil in arabischer Schrift ausgeführten Aufzeichnungen gefüllte Leporellos: Ein "fortlaufender Fluss der Bilder", in dem ihre durch den arabischen Kulturraum geprägte, zeichenhafte Verdichtung von Malerei und Sprache eindrücklich Gestalt findet.

Anfangs noch ganz der Sprache verschrieben

Auf Anregung ihres Vaters lernte sie als junges Mädchen Arabisch. 1949 ging sie zum Philosophiestudium nach Paris, 1955 nach Berkeley in Kalifornien. Ihr erstes Gedicht von 1950 beschreibt die Beziehung zwischen Sonne und Meer, ihr erster Gedichtband ist dem Mond gewidmet. Damals war sie noch ganz der Sprache verschrieben: "Meine Identität bestand in dem Wunsch, nicht von den arabischen Dichterinnen abgelehnt zu werden."

In Kalifornien begann sie zu malen

In Paris besucht sie die großen Museen, begegnet u.a. den Klassikern der Moderne. Selbst zu malen, beginnt sie 1960 in Kalifornien – ein Ankommen: "Ich musste nicht mehr einer von ihrer Sprache geprägten Kultur angehören, sondern konnte mich einer offenen Ausdrucksweise widmen."

Eine eigenwillige Variante der Farbfeldmalerei

Ein wesentliches Sujet wird der Mount Tamalpais, den sie von ihrer Wohnung in Sausalito aus im Wechsel von Licht und Wetter sieht. Wie Cézanne die Montagne Sainte-Victoire malt sie den Berg immer wieder, die Auseinandersetzung mit der Landschaft wird ihr zur "mystischen Erfahrung". Das Ergebnis ist nicht impressionistisch, sondern eine eigenwillige Variante der Farbfeldmalerei.

Begeistert von Paul Klee

Die Natur wird zum verbindenden Element ihrer Lebensstationen – in Gestalt von Sonne, Meer, Bergen. Darum war sie wohl auch begeistert von der Malerei Gabriele Münters, von der Synästhesie Kandinskys und Schönbergs und vor allem von Paul Klee. Im Kunstbau stehen ausgewählte Werke aus der Sammlung des Hauses Adnan gegenüber.

Betörende Farbkombinationen

Neben Klees "Erzengel" etwa hängt ihr Gemälde "Persisch" von 1963/64, dessen Rosa, Lila, Türkis und Blau sich dort verblüffend widerspiegeln. "Ich muss nicht mehr auf Französisch schreiben, sondern male auf Arabisch", umschreibt sie ihre Entwicklung. Man findet in ihrer Kunst keine Figuren, stattdessen Kreise, Quadrate, gestapelte Dreiecke in betörenden Farbkombinationen. Ihre Landschaften erscheinen abstrakt, denn Etel Adnan setzt auf eine radikale Reduktion der Formensprache bei immenser Bandbreite der Farbpalette.

Immense Ausdruckskraft

Die Voraussetzungen für diese gelingende künstlerische Vereinfachung, sind ihr weiter kultureller und intellektueller Horizont und ihr feines Gespür für die Natur, das Ergebnis ist eine immense Ausdruckskraft. "Où est la lumière?" lautet der Titel einer Serie auf Papier – man kann sicher sein, dass die Schöpferin das Licht gefunden hat.


Bis 26. Februar, Di - So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 39,90 Euro

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