Erstaunlich wilder Farbtanz
Köstlich, wie der selbstgewisse Wassily Kandinsky hier doziert. Mit erhobener Hand sitzt er am Kaffeetisch im Murnauer Russenhäusl und redet auf eine Frau ein. Sie scheint ihm aufmerksam zuzuhören, zumindest verrät das ihre nach vorn gebeugte Haltung, aber sonst? Unterm dunklen Haar ist ein Gesicht angedeutet, leer, ohne Züge und irgendwie bezeichnend für eine Malerin, von der man bis vor Kurzem nur den Namen – Erma Bossi – und ein paar Bilder kannte.
Andererseits erstaunt auch wieder, dass eine Künstlerin aus dem Umfeld Kandinskys und des Blauen Reiters einfach so vergessen wurde. Zumal das eingangs erwähnte Gemälde von Gabriele Münter nicht nur Lenbachhaus- Gänger kennen, und die berühmte Künstlervereinigung zudem bis ins letzte Detail erforscht ist.
Doch die talentierte Erminia Bosich, wie die 1875 im heute kroatischen Pola geborene Tochter eines Marineoffiziers eigentlich hieß, war zwischen zwei Weltkriegen wohl einfach durchs Raster gefallen. Ihr Leben bewegte sich zwischen Triest, das Künstlerinnen wenig Möglichkeiten bot, München, Paris, dann Mailand – im Schloßmuseum Murnau ist dieses Malerleben jetzt durch die sensationellen Recherchen der Museumsleiterin Sandra Uhrig und ihrer Kollegin Christine Ickerott-Bilgiç zum ersten Mal ausgebreitet.
In München am Puls der Zeit
Wo sich die Bossi aufhält, saugt sie ein, was in der Luft der Ateliers und Galerien liegt. Nach französisch dominierten Anfängen – sie erinnern an Cézanne, Gauguin, Toulouse-Lautrec – orientiert sie sich in München an den jungen Kollegen, an Kandinsky und Marc, Münter, Jawlensky und der Werefkin, die sie übrigens auch malt, oder an Adolf Erbslöh und Alexander Kanoldt, um dabei durchaus Eigenes zu entwickeln. 1910 steuert Bossi zur ersten Ausstellung der eben erst gegründeten „Neuen Künstlervereinigung München” in der Galerie Thannhauser immerhin sechs Werke bei, und auch in der zweiten und dritten Schau ist sie vertreten. Damit befindet sich die junge Frau am Puls der Zeit, steckt mitten im Münchner Aufbruch.
Sie wirft sich ins wild expressionistische Farbbad: Kräftige Rottöne dominieren eine Opern-Szene von 1909, für die „Zirkus”-Manege aus dem selben Jahr mag Lautrec noch Vorbild sein, aber Bossi spielt, verändert Schwerpunkte, kombiniert Pink, Rot, Lila und nimmt sich bei den Formen noch größere Freiheiten. Fulminant ist schließlich ihre „Tänzerin in Rot” – auch von 1909. Dazu kommen Stillleben, Badende, die Bossi bleibt bei aller Wandelbarkeit am Gegenständlichen, selbst bei ihren sachte kubistischen Versuchen. So hätte es gerne weitergehen dürfen, doch dann scheint irgendwann der Schneid zu fehlen. Überhaupt sind im Italien Mussolinis bald harmlose Sujets in braver Ausführung gefragt.
Man darf allerdings davon ausgehen, dass die „Spurensuche Erma Bossi” noch lange nicht beendet ist. Und schön – neben sehr Beachtlichem aus der Münchner Zeit kennen wir nun endlich auch ihr Gesicht.
Schloßmuseum Murnau, Schloßhof 2-5, bis 3. November 2013, Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, 28. und 29. Sept. bis 18 Uhr, Tel.08841/476207, Katalog 28 Euro