Eine Liste voller Versäumnisse

Der Schwabinger Kunstfund wird immer stärker zum Politikum – in der AZ spricht Raubkunst-Experte Stefan Koldehoff über die Fehler bei den Ermittlungen im Fall Gurlitt
von  Christa Sigg

Nach einer Woche bekommt die Sache Fahrt. Aus dem fernen Indien dringt die Forderung von Noch-Außenminister Guido Westerwelle nach mehr Transparenz beim Schwabinger Kunstfund. Und in Berlin will nun endlich auch die Bundesregierung „drauf drängen, die Klärung der Besitzverhältnisse zu beschleunigen”. Noch diese Woche sollen „weitere Einzelheiten zum Procedere” bekannt gegeben werden, verkündete Regierungssprecher Steffen Seibert. Man reagiert dabei nicht zuletzt auf die Kritik des Jüdischen Weltkongresses. Dessen Präsident Ronald S. Lauder sähe die Bilder gerne im Internet. Die AZ sprach mit Stefan Koldehoff, der bereits 2010 ein äußerst passendes Buch veröffentlicht hat mit dem Titel: „Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst”.

AZ: Herr Koldehoff, diese Grauzone zwischen „Entarteter Kunst”, Raubkunst und durch die Kriegswirren verschwundenen Werken ist doch die ideale Voraussetzung für dubiose oder illegale Geschäfte.
STEFAN KOLDEHOFF: Natürlich. Wir alle wissen, dass es Besitzer von Kunstwerken gibt, die sie höchstwahrscheinlich unter ganz fragwürdigen Umständen bekommen haben. Aber die Gesetze sprechen für diese Leute. Einfach, weil nach 1945 nie andere gemacht wurden, die die Opfer schützen. Deshalb gehört Cornelius Gurlitt wahrscheinlich vieles zu Recht. So absurd das klingt und so moralisch verwerflich wir das alles finden, aber es ist leider so. Wir leben in einem Rechtsstaat.

Ein Mensch wie Hildebrand Gurlitt würde sogar auf beide Seiten passen. Einerseits von den Nazis abgesetzter Verfechter der Moderne, zum Teil jüdisch, andererseits hat er mit dem Hitlerstaat wieder Geschäfte gemacht.
Tatsächlich gehört Gurlitt zu den ganz wichtigen Leuten, die sich vor 1933 für die Moderne in Deutschland eingesetzt haben, ein Kunsthistoriker, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Warum er dann mit den Nazis ins Bett gestiegen ist und in deren Auftrag die „entartete Kunst” ins Ausland verkauft hat, weiß man nicht. Ob er Geld brauchte, ob er eine Familie finanzieren musste, ob er Existenzängste hatte? Wir werden das wahrscheinlich nie erfahren, aber Gurlitt ist ein Musterbeispiel für die Tragik der deutschen Geschichte.

Man sieht ja schon an den Bilder-Recherchen, wie mühsam es ist, Klarheit zu bekommen.
Deshalb ist es ja so ein Irrsinn, eine einzige Forscherin damit zu betrauen. Wer sich ein bisschen mit dem Thema Provenienzforschung auseinander gesetzt hat, weiß, dass die Klärung eines einzigen Bildes Monate dauern kann, verschiedenste Archive nötig sind, und, und, und. Da muss ganz dringend ein Team ran.

Die Kunsthistorikerin hätte doch sofort klar machen müssen, dass die Untersuchung dieses Kunstschatzes für eine einzelne Person gleich mehrere Nummern zu groß ist.
Erstens das, zweitens hat es insgesamt zehn Minuten gedauert, um herauszufinden, welche jüdische Erbenfamilie das Liebermann-Bild mit den Reitern sucht. Man hätte diese Familie sofort benachrichtigen müssen. Das sind zum Teil alte Leute, die viel Geld für Rechtsanwälte ausgeben. Es ist übrigens auch sehr unwissenschaftlich, sich da eine Schweigepflicht auferlegen zu lassen. Wissenschaft hat unabhängig zu sein.

Warum ist die Staatsanwaltschaft so umständlich?
Sie glaubt natürlich, gute Gründe zu haben und Persönlichkeitsrechte schützen zu müssen. Wenn man Ihren van Gogh wieder gefunden hätte, würden Sie es vielleicht auch nicht schätzen, wenn die ganze Welt davon erfährt. Aber ich glaube, man hätte Wege finden können, auf nicht öffentlichem Wege die zu informieren, deren Bilder man identifiziert hat. Da ist Deutschland wieder mal sorgfältig bürokratisch, und das richtet, glaube ich, im Ausland ganz großen Schaden an.

Man fürchtet wohl trotzdem eine Flut von Anfragen, Besitzansprüchen...
Mit Sicherheit. Und die sind ja zum Teil schon da. Zig Museen und Privatsammler haben angekündigt, sich nach Augsburg zu wenden – ihr gutes Recht! Eine Strafverfolgungsbehörde ist doch kein Staat im Staate, natürlich muss sie sich mit Anfragen auseinander setzen. Auch wenn das Arbeit macht und unbequem ist.

Die Bilder einfach ins Internet zu stellen, ist ja auch nicht unproblematisch.
Das würde ich auch nicht tun. Man müsste eine Kontaktmöglichkeit für diejenigen schaffen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen. Ein Beispiel: Ich kenne eine Rechtsanwältin in Dresden, die eine jüdische Familie mit einer ganz konkreten Werksliste vertritt. Diese Liste stimmt zum Teil mit den Listen von 1950 überein, mit denen die Rückgabe von Gurlitts Beständen dokumentiert wurde. Das Interesse dieser Familie reicht aus zu erfahren, welche Bilder der Münchner Kunstfund umfasst. Mit solchen Leuten muss man sofort Kontakt aufnehmen, statt zu sagen: wir wollen erst alles recherchieren. Ich bin dagegen, das komplett öffentlich zu machen, aber berechtigten Leuten muss man Zugang gewähren.

Wie groß ist denn die Gefahr, Fälschungen aufzuliegen.
Ich halte diese Gefahr für relativ gering. Hildebrand Gurlitt hatte Zugang zu Originalen, warum sollten Fälschungen dabei sein? Außer, der Sohn hat hinterher noch dazu gekauft. Im Grunde hatten es die Gurlitts aber nicht nötig, sich um Fälschungen zu kümmern.

Der internationale Kunsthandel bleibt ein großes Problem.
Der Kunsthandel tut ja immer so, als würde man standrechtlich erschossen, wenn auch nur ein Name von den Vorbesitzern preisgeben wird. Das ist natürlich ein völliger Blödsinn. Diese Regeln hat sich der Kunstmarkt selbst auferlegt, um seine wirtschaftlichen Quellen zu schützen und um den Nachschub zu sichern. Aus meiner Sicht spricht jedenfalls nichts dagegen, diese Leute notfalls auch zur Offenlegung zu verpflichten.

Man kauft doch nichts ohne...
... zu prüfen. Bitte, Sie würden doch keinen VW Käfer kaufen, ohne einen Kfz-Brief mit sämtlichen Vorbesitzern. Das muss bei Werten, die in die Zehn- und Hunderttausende gehen doch eine Selbstverständlichkeit sein.

Wie kann es sinnvoll weitergehen – auch für Gurlitt?
Man muss die Forschung zu diesen 1400 Bildern auf viel breitere Füße stellen und auf jeden Fall mit Cornelius Gurlitt ins Gespräch kommen, um gemeinsam zu überlegen, wie dieses Dilemma zu lösen ist: dass Bilder, die sein Vater von den Nazis gekauft hat, moralisch gesehen vielleicht eher anderen zustehen. Man sollte sehen, ob er nicht zu einem Kompromiss bereit ist, der da lauten könnte: Ich behalte bestimmte Sachen, andere gebe ich aber zurück.

Das wäre doch Stoff fürs nächste Buch.
Es gibt zu wenig Information. Grundvoraussetzung wäre ja die Liste. Ich habe aber auch Skrupel. Es kann wirklich sein, dass das alles diesem alten Mann zu Recht gehört. Wir haben es in Deutschland einfach versäumt, bessere Gesetze zu machen.

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