Eine Frau, die Grenzen sprengt

"Dancing with my Camera" in der Villa Stuck: Die Ausstellung der indischen Künstlerin Dayanita Singh.
von  Roberta De Righi
"Go Away Closer" - gehen Sie näher ran - von 2007.
"Go Away Closer" - gehen Sie näher ran - von 2007. © Dayanita Singh

In Franz von Stucks Musikzimmer sind ein Tour-Bus voller indischer Musiker und eine bauchige Langhalslaute, genannt Tanpura, eingezogen. Die Musikanten sind in einem Foto-Leporello von Dayanita Singh (geboren 1961 in New Delhi) zu sehen, das Saiteninstrument steht in einer Art bebildertem Schrank, von der Künstlerin "Museum of Tanpura" genannt.

Gerade erst hat sie in Göteborg den Hasselblad-Award entgegengenommen. Jetzt wurde Singhs Ausstellung in Museum Villa Stuck eröffnet, in der ihre Lichtbilder zu vielfigurigen Panoramen, und ihre Foto-Bücher zu künstlerischen Objekten werden. Die Schau unter dem Titel "Dancing with my Camera" ist eine Übernahme vom Berliner Gropius Bau.

Und tatsächlich wirken viele Aufnahmen so, als tanze die Kamera durch Singhs Foto-Kunst, in der Bewegung, Musik und Tanz auch als Sujet eine wesentliche Rolle spielen. Darüber hinaus fällt auf, dass die Menschen in den Schwarzweißbildern stets in inniger Beziehung zu stehen scheinen.

Verbunden in lebhafter Interaktion

Sie sind verbunden in lebhafter Interaktion voller Berührungen und nonverbaler Kommunikation, ausdrucksstark in Gestik und Mimik. Ob Freundinnen oder Großmutter und Enkeltochter im "Little Ladies Museum", oder eben jene Gruppe von Musikern, ja selbst Männer beim Haareschneiden auf der Straße.

Dass diese Bilder sinnlich und körperlich wirken, ist auch insofern kein Wunder, weil Dayanita Singh über ihre Hasselblad-Kamera sagt, sie sei wie eine "Fortsetzung ihres Körpers", und bei der Produktion von Büchern davon, diese zu "gebären".

Dayanita Singhs "Museum of Chance" aus dem Jahr 2013.
Dayanita Singhs "Museum of Chance" aus dem Jahr 2013. © Dayanita Singh

Aus einer Familie der Oberschicht stammend, studierte sie in Ahmenabad visuelle Kommunikation und in New York Dokumentarfotografie; als prägend bezeichnet sie u.a. den "The Americans"-Porträtisten Robert Frank. Dem von Magazinen oft gewünschten Indien-Klischee von Elend und Exotismus wollte Dayanita Singh als Bildjournalistin entkommen, und so suchte sie konzeptionell nach Möglichkeiten, die an sich statische Fotografie aus der Fläche in Raum und Zeit zu holen.

Dafür lässt sie aus Teakholz ihre so genannten "Museums" bauen, eine edle Mischung zwischen Installation, Regal und Schaukasten. Alle darin gezeigten Lichtbilder sind austauschbar, und so verändert sich jede Präsentation im Laufe der Zeit. Zugleich arbeitet sie, etwa in der Serie der "Architectural Montages", mit der analogen Technik der Montage, und erschafft aus real existierenden Orten erstaunlich echt wirkende virtuelle Räume.

Dayanita Singh sprengt räumliche und soziale Grenzen

Der einzige Wermutstropfen bei der Betrachtung ist die Tatsache, dass das Dokumentarische zugunsten einer überzeitlichen Betrachtung des Menschlichen zurücktritt, und man über die Einzelbilder so gut wie nichts erfährt - wenn Singh diese nicht selbst wortreich und plastisch erläutert. In ihrem Bilderkosmos, in dem sich für sie immer neue Verbindungen ergeben, stehen auch Abbilder von Orten und Menschen nebeneinander, die sich in der Realität - etwa, weil sie Angehörige verschiedener Kasten sind - nie begegneten.

Dass Dayanita Singh mit ihrer Kunst räumliche und soziale Grenzen sprengt, zeigt auch ihre langjährige Arbeit und Freundschaft mit Mona Ahmed. Jene gehörte den Hijra an, sie ist eine im Körper eines Mannes geborenen Trans-Frau. In Indien ist das dritte Geschlecht zwar inzwischen anerkannt, dennoch leben die Hijra oft am Rand der Gesellschaft. Mona wurde von ihrer Familie ebenso verstoßen wie von der Transgender-Gemeinschaft und lebte auf einem Friedhof in New Delhi, wo sie 2017 auch begraben wurde.

Dayanita Singh sagte über sie "Sie war die unvergleichlichste Person, die ich je kannte. Sie war meine Freundin, meine Mutter, mein Kind." In ihrer berührenden Hommage mit dem Film "Mona and Myself", dem Buch "Myself Mona Ahmed" und der Serie "Mona Montages" bleibt diese faszinierend lebendig.


Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, bis 19. März, Di - So 11 bis 18, jeden ersten Freitag im Monat 11 bis 22 Uhr

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