Die Kunstbiennale in Venedig: Fremde oder Freunde

Alles so schön bunt hier. In Venedig ohnehin, aber vor allem auf der 60. Kunst-Biennale. Im großen Stil geht das gleich in den Giardini los, wo hübsch gemusterte Fische über die Fassade des zentralen Pavillons schwimmen. Darüber Vögel und Menschen mit überbordenden Erntekörben, die über ein Krokodil marschieren. Hinterfotzig dient sich dieses Riesenvieh als Brücke an, und weil das nicht gut gehen kann, kommt es zur Trennung von Völkern und Ländern. So erklärt es das brasilianische Künstlerkollektiv Mahku, und womöglich gibt es seither "überall Fremde"?
"Foreigners Everywhere" lautet das Motto der diesjährigen Superkunstschau, benannt nach der häufig abgebildeten Neonskulptur des Duos Claire Fontaine, hinter dem sich Fulvia Carneale und James Thornhill verbergen. Der Schriftzug leuchtet in unzähligen Übersetzungen über einem Becken des Arsenale, dem zweiten Ausstellungsort. Das Thema könnte kaum besser gewählt sein in einer Welt, in der das Fremde gerade als besonders bedrohlich empfunden wird - in der aber der Austausch mit dem unbekannten Neuen immer auch Antrieb für kulturelle Entwicklungen war. Man vergisst das nur zu gerne.

Auf der anderen Seite hat sich Chefkurator Adriano Pedrosa damit einen beträchtlichen Spielraum geschaffen. Denn fremd sind wir eh alle irgendwann. Das zeigt sich so simpel wie eindringlich im ängstlich fragenden Blick eines Mädchens, das allein nach New York reisen muss. Es taucht in Pablo Delanos Installation "The Museum oft he Old Colony" über die Einverleibung und Amerikanisierung Puerto Ricos auf. Leonard Bernsteins "West Side Story" über diese Migranten kommt nicht von ungefähr.
Noch viel weiter trieb es eine anonyme jungen Frau, die es von Mogadischu über Somalia, den Sudan und Libyen nach Lampedusa und schließlich nach Palermo verschlagen hat. Sie erzählt das ganz sachlich, man sieht nur ihre Hand und den Stift, mit dem sie diese Wahnsinnstour auf einer Landkarte nachfährt. Bei aller Einfachheit - und es gibt mehrere solcher Karten - hat die in Berlin lebende marokkanische Kunstprofessorin Bouchra Khalili damit einen der stärksten Biennale-Beiträge konzipiert.
Dabei ist es nicht sonderlich leicht, sich in diesem endlosen Aneinander ins Gedächtnis zu schleusen. Über 300 Künstlerinnen und Künstler aus fast 90 Ländern hat Pedrosa versammelt, das Gros aus Lateinamerika, Afrika, Asien und dem Nahen Osten. Dabei geht es dem ersten südamerikanischen Biennale-Gestalter zunächst um die Geschichte der Moderne, die bislang überwiegend aus westlicher Sicht und mit den entsprechenden Vertretern erzählt wurde. Doch sein "Nucleo Storico" ist erstaunlich museal geraten, und man hätte sich ein paar echte Perspektivdreher gewünscht oder etwas, das aus dem Rahmen fällt. Am Ende gehen selbst diejenigen unter, die man kennt: von Amrita Sher-Gil, der indischen Antwort auf Frida Kahlo, bis zum Kubaner Wifredo Lam, der einst mit Picasso um die Häuser zog.
Mehr noch konzentriert sich Pedrosa allerdings auf identitätspolitische Zugehörigkeiten, hauptsächlich im als "Nucleo Contemporaneo" bezeichneten Bereich. Queere Kunstschaffende sind da vertreten, die Außenseiter der Art Brut, Autodidakten, Volks- und sogenannte indigene Künstler, die sich selbst im eigenen Land Sichtbarkeit verschaffen müssen. Neu ist das nicht, Pedrosas letzte drei, vier Vorgänger hatten dafür sehr wohl ein Auge, aber in dieser Fülle gab es das noch nicht.

Der 58-Jährige, der im normalen Leben das Museum of Art in Sao Paulo leitet, fühlt sich diesen Themen verbunden. Er hätte lange im Ausland gelebt, sei ständig Fremder gewesen, und als queerer Mann würde er Ausgrenzung kennen. Die Identität wird denn auch auf jedem Schild ausgiebig verhandelt, das ist fast schon ein Abstempeln. Manchmal würde man gerne etwas mehr über die Kunst erfahren - daran müssten genauso Bildhauerinnen und Maler interessiert sein.
Insofern lässt die Sortierung vor allem Fragen offen, die Bilder rauschen vorbei und sind gar nicht so selten überraschend konventionell, brav, naiv, gediegen. Wenn zwei Uniformierte mit fehlendem hinteren Hosenteil - stattdessen gibt's rote Damenstrümpfe und blanken Popo - aufwendig paradieren und ätzend schräg die Wachablösung tröten, bringt das keinen mehr in Atemnot. Das Kunstpublikum sowieso nicht.
Eher verblüffen die Techniken, etwa wenn zwei sich küssende Gladiatoren als Mosaik ausgeführt sind. Der Libanese Omar Mismar erzählt so charmant wie klug von seiner selten gewordenen Kunst, aber dazu muss man ihn treffen, was nach der Eröffnungswoche eher nicht mehr möglich sein wird.
Man darf sich wohlfühlen auf dieser Biennale, irritierend ist kaum etwas - bis auf ein mächtiges Gemälde im Breitwandformat, auf das die Mexikanerin Frieda Toranzo Jaeger ein winziges und damit leicht zu übersehendes "Viva Palästina!" gekrakelt hat.

Was viel mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind freilich die radikal-politischen Auftritte, für die diese Biennale gerade wieder herhalten muss. Das beginnt beim russischen Pavillon, in dem Bolivianer jetzt indigene Instrumente vorführen und tanzen - im Gegenzug wird Moskau mit kostbarem Lithium für die Herstellung von Batterien beliefert. Und das endet beim Israel-Bashing. Man reibt sich tatsächlich die Augen, wie viele scheinbar feinsinnige Künstler dessen Vernichtung fordern.
Vielleicht sollte man Zeremonienmeister Antonio Jose Guzman und die "Orbital Mechanics" gegen diesen Irrsinn antreten lassen? Mit seiner Anti-Kolonialismus-Performance sorgt der Allroundkünstler aus Panama für eine lautstarke Prozession, die in einen Mix aus trommelndem Schamanismus und Rockkonzert mündet. Vor 500 Jahren hätten die spanischen Conquistadores rápido das Weite gesucht, so intensiv und so mitreißend ist Guzman mit seinen Leuten unterwegs.
Oder man setzt auf Kasperletheater-Naivität und das eingangs erwähnte Kollektiv Mahku vom Stamm der Huni Kuin schickt das große Krokodil. Wie so vieles in Venedig wäre das auch noch echt instagramtauglich.
60. Biennale bis 24. November, Tagesticket 30 Euro, div. Ermäßigungen, www.labiennale.org
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