Die Kelten - Kopfjäger oder Philosophen?

Über die Kelten ist viel Widersprüchliches im Umlauf. Wie sie gelebt haben, erfährt man in der Archäologischen Staatssammlung - und im AZ-Gespräch mit Holger Wendling
von  Christa Sigg
Kunstvoll bis ins Detail - hier ein Achsnagel aus Bronze mit einem Männerkopf, gefunden in Manching. Entstanden ist der Achsnagel im 2. bis. 1. Jahrhundert vor Christus.
Kunstvoll bis ins Detail - hier ein Achsnagel aus Bronze mit einem Männerkopf, gefunden in Manching. Entstanden ist der Achsnagel im 2. bis. 1. Jahrhundert vor Christus. © ASM, Manfred Eberlein

Brutale Krieger, Kopfjäger, Künstler - über die Kelten gibt es vor allem Klischees. Die besten und sympathischsten findet man immer noch bei "Asterix und Obelix", doch was stimmt? Und was ist einfach nur gut erfunden? Holger Wendling kennt jeden Band, vor allem aber die wissenschaftlichen Details der Welt der Kelten. 

AZ: Herr Wendling, wären wir uns vor gut 2000 Jahren hier an der Isar zum Gespräch begegnet, hätten man uns den Kelten zugerechnet?
HOLGER WENDLING: Wir sind beide ziemlich hellhäutig, das würde schon mal passen. In der Gegend hier hätten wir uns wie Kelten gekleidet, also in Hosen, darüber eine T-förmige Tunika oder einen Überwurf, einen Kapuzenmantel. Alles sehr bunt und oft kariert. Der keltische Herr trug einen Halsreif oder torques, für die noble Dame durfte es schon mal Goldschmuck sein. Ich als Mann hätte außerdem ein keltisches Langschwert geführt. Allerdings wissen wir nicht, wie sich unsere beiden Doppelgänger damals selbst gesehen hätten. Da ging es wohl eher um die Zugehörigkeit zum eigenen Clan mit dem Zentrum der Familie.

Da wären keltische Schriftquellen hilfreich.
Die gibt es aber nicht, sondern nur Zeugnisse von außen, das heißt von Römern und Griechen. Die hatten natürlich ein Klischeebild von wilden, unmäßigen, barbarischen Kriegern im Kopf. Unter anderem deshalb, weil die Kelten eine demografische und militärische Bedrohung dargestellt haben.

Kelten: vom Atlantik bis nach Anatolien

Wie kann man die Kelten denn abgrenzen? Zum Beispiel zu den Germanen?
Die ethnische Deutung ist ein schwieriges Thema. Das hat auch damit zu tun, dass man während des Nationalsozialismus' darauf erpicht war, in allem und jedem die Germanen zu sehen. Die antiken Chronisten benennen Kelten im heutigen Frankreich oder Gallien, da sind wir bei Asterix und Obelix. In Spanien gab es Keltiberer, in der Bezeichnung Galizien steckt noch der Wortstamm. Im 3. und 4. Jahrhundert vor Christus kam es zu großen Migrationsbewegungen über den Balkan bis in die Türkei. Die Paulus-Briefe an die Galater haben sich an ursprüngliche Kelten gerichtet. Wir finden diese Volksgruppen also von der Atlantikküste bis ins heutige Anatolien.

Hatte nicht Cäsar schon eine simple Einteilung?
Ja, rechts des Rheins lebten für ihn die Germanen, links davon die Gallier oder Kelten. Aber was machen wir dann mit einer Kelten-Stadt wie Manching? Deshalb sprechen wir in diesem Fall von der Latènekultur. Vereinfacht gesagt: Diejenigen, die vom 5. bis zum 1. Jahrhundert vor Christus ähnliche Kleider und Schmuck trugen, ähnliche Waffen und Werkzeuge benutzt und in West- bis Mitteleuropa gelebt haben, sind Kelten.

Stimmt es, dass die Kelten so brutal waren?
Jedenfalls nicht brutaler als andere antike Bevölkerungen. Durch die Fremdwahrnehmung wurde vieles aufgebauscht. Zum Beispiel, dass die Kelten sich die Haare mit Kalkwasser aufstellen würden, um ihre Gegner zu beeindrucken. Man kann sich das wie Irokesen- oder Punkfrisuren vorstellen. Es hieß auch, manche würden todesmutig nackt in den Kampf ziehen, um ihre Gegner zu ängstigen. Die Nacktheit galt in der Antike allerdings als Barbaren-Topos.

Gute Krieger, aber auch Feingeister

Die Kelten müssen aber doch gute Krieger gewesen sein?
Absolut, Kelten waren als Söldner in Griechenland und bis nach Ägypten gefragt. Dieses Bild zeichnet sich auch in den Gräbern ab: Die Männer sind fast immer mit einem Langschwert bestattet. Es gab aber natürlich genauso die Feingeister und Philosophen, Druiden etwa, die für das Wissen zuständig waren.

In der Schausammlung ist jedenfalls viel Feinsinniges zu finden, von medizinischen Instrumenten bis hin zu den typischen kleinen Tierfiguren.
Kreativität und Kunstfertigkeit sind wirklich faszinierend. Keltische Schmuckformen findet man bis heute. Außerdem müssen die Kelten bereits ein erstaunliches mathematisches und geometrisches Wissen gehabt haben. In Manching mit seiner Mauer und dem zentralen Tempel lässt sich alles per Zirkel konstruieren, in der Stadt manifestiert sich quasi ein Weltbild. Das zeigt, dass die Kelten eben keine dummen Barbaren waren, sondern eine hochkomplexe Gesellschaft an der Schwelle zur Hochkultur.

Ominöser Schädelkult

Was weiß man über Kult und Glauben?
Die Kelten hatten die Vorstellung von einem Götterhimmel oder von Gottheiten, die für bestimmte Bereiche verantwortlich sind. Der Schädelkult erscheint uns barbarisch, aber der gehörte bei den Kelten eben zur Mythologie. Man glaubte, mit dem Kopf des Feindes gingen Kraft und Wissen auf den Sieger über, der Tote könne so auch gebannt werden. Wir wissen von regelrechten Kopfjägern, aber da liegt vieles im Dunklen.

Der Ahnenkult scheint eine große Rolle gespielt zu haben.
Und er war oft mit Bestattungssitten verbunden, die uns heute merkwürdig erscheinen. Die späten Kelten haben ihre Toten in den meisten Fällen nicht mehr begraben, sondern - lapidar gesagt - in die Bäume gehängt, vielleicht auf Totenbetten platziert. Wir sprechen dann von Himmelsbestattungen. So wurden Menschen auf natürlichem Wege entfleischt, die Reste hat man deponiert oder entsorgt, denn die "Seele" war ja schon entschwunden.

Es gab also die Vorstellung von einer Seele?
So legen es römische und griechische Schreiber nahe und vergleichen die Riten der gallischen Druiden mit denen der mathematik- und zahlenaffinen Pythagoräer in Süditalien. Bei denen gab es die Vorstellung der Seelenwanderung.

Der Wein floss in Strömen

Noch so ein derbes Keltenbild hat mit dem Alkohol zu tun.
Die Kelten galten als große Trinker, die den Mittelmeerwein literweise hinuntergestürzt hätten. Der griechische Chronist Diodor berichtet: "Sie trinken den Wein durch ihren Bart wie durch ein Sieb". Auf den Darstellungen tragen tatsächlich viele Kelten einen strähnigen Oberlippenbart. In den Städten, also den Oppida, wurden Hunderte Weinamphoren gefunden. Wahrscheinlich gab es auch ganz normales Bier und sicher Met.

Und wovon haben sich die Kelten ernährt?
Ackerbau und Viehzucht waren die Grundlagen, die Ernährung überwiegend landwirtschaftlich basiert. Getreide spielte eine wichtige Rolle, es wurde viel Dinkel und Hirse gegessen. Wir finden zahlreiche Mühlsteine, die auf Mehl deuten. Möglicherweise wurde aus der Hirse auch Bier gebraut. Es gab Obst, und man hat Wildpflanzen gesammelt. Daneben haben wir auch Fleisch. Den Kelten wird nachgesagt, sie hätten gerne Schweinefleisch gegessen.

Schweinebraten ist beliebt

Sind wir jetzt bei Obelix und den Wildschweinen?
Das waren damals schon Zuchtschweine, aber sicher näher am Wild- als am heutigen Hausschwein. Es wurden auch Rinder gezüchtet, Schafe und Ziegen gehalten. Es gibt Indizien, dass Pferde- und sogar Hundefleisch auf den Tisch kam. Wir haben auch eine intensive Graswirtschaft, die Sensen-Funde deuten auf das Einbringen von Heuvorräten für den Winter.

Wie war das Verhältnis von Stadt und Land?
Die Städte lagen im Zentrum einer Siedlungslandschaft mit kleinen Dörfern oder Weilern, wo Landwirtschaft betrieben wurde. Es gab auch die sogenannten Viereckschanzen, das waren befestigte Bauernhöfe, umgeben von Wällen wie bei einer mittelalterlichen Burg. Dort haben Großgrundbesitzer residiert, die ihre Überschüsse an die immer größer werdenden Städte weitergaben. 5000 Einwohner sind im zweiten Jahrhundert vor Christus keine Seltenheit.

Und Manching?
Das war zunächst eine unbefestigte Großsiedlung mit allen städtischen Charakteristika wie Handwerksbetrieben etwa zur Glasherstellung, Töpfereien, Eisen- und Bronzeschmieden. Ständig brannte und rauchte es irgendwo. Wahrscheinlich gab es damals schon die Eckkneipe. Manching war wirklich eine Stadt mit allem Drum und Dran, zuletzt auch mit einer imposanten Stadtmauer, die man heute noch bewundern kann.

Dann sind die "Asterix"-Hefte mit dem Schmied Automatix und dem Fischhändler Verleihnix doch nicht so verkehrt?
René Goscinny und Albert Uderzo gehen bewusst auf Klischeebilder aus dem 19. Jahrhundert zurück. Die sind ja nicht alle falsch, Asterix und Obelix waren aber sicher keine Kelten. Jeder Asterix-Band ist ein Spiegel der modernen französischen Gesellschaft, verpackt in ein schönes antikes Vorurteil über die Kelten. Das geht schon in Ordnung und macht Spaß! Und wenn es jemanden zu uns in die Archäologische Staatssammlung bringt, umso besser!

Archäologische Staatssammlung München, Lerchenfeldstraße 2,  Di bis So 10 bis 17, Do und So bis 19 Uhr, www.archaeologie.bayern.de

 

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